POLITIK I Die neue Labour-Regierung und China

Großbritannien hat gewählt. Und – wie zu erwarten war – hat Labour deutlich gesiegt. Mit 33,7 Prozent der Stimmen bekam die bislang oppositionelle Labour Party 412 Sitze, die bislang regierende Konservative Partei kam mit 23,7 Prozent der Stimmen lediglich auf 121 Sitze. Ein Erdrutschsieg („labour landslide“), der Keir Stamer zum neuen Premierminister und neuen Bewohner von Downing Street 10 machte. Er wird eine Regierung mit vielen neuen Gesichtern aufstellen. So wird David Lammy (51) neuer Außenminister werden. Der Sohn von Einwanderern aus Guyana ist im Londoner Stadtteil Tottenham aufgewachsen. Er ging schon früh in die Politik, war der jüngste Abgeordnete, als er 2000 gewählt wurde. In diversen Reden und Interviews hat er sich zu seinem außenpolitischen Programm und über China geäußert. Grundsätzlich wurde er in der Mai/Juni-Ausgabe von Foreign Affairs. Titel seines Aufsatzes: „The case for Progressive Realism – Why Britain Must Chart a New Global Course”. Zwei “great foreign secretaires” nennt er dabei als Vorbilder: Ernest Bevin, der nach 1945 unter Clement Attlee diente, und Robin Cook, der 1997 Außenminister unter Tony Blair wurde. Bevin stand für Realismus, Cook für Visionen. Beides will er in seiner Person vereinen. Progressiver Realismus ist für ihn „the pursuit of ideals without delusions about what is achievable”.

Sein realistisches Weltbild ist klar: „Today, the global order is messy and multipolar.” China sei eine Supermacht, deren Wirtschaft fünfmal größer sei als die des Vereinigten Königreichs. Der Aufstieg Chinas habe die Äre der US-Hegemonie beendet. Die Welt sei nun durch einen Wettbewerb zwischen Beijing und Washington geprägt, und zwar auf vielen Ebenen. Die Chinapolitik der konservativen Regierungen bewertet er – wie sollte es auch anders sein – als sehr schwankend. Sie habe „occilated wildly over the past 14 years.“ Erst sprach David Cameron 2015 von einer „goldenen Ära“ der Beziehungen, ehe unter dessen Nachfolger Liz Truss und Rishi Sunak China als Feind betrachtet worden sei. Völlig konfus wurde es, als Sunak zuletzt Cameron zum Außenminister machte.

Unter ihm soll es solche Schwankungen in der China-Politik nicht mehr geben: „The United Kingdom must instead a more consistent strategy, one that simultaneously challenges, competes against, and cooperates with China as appropriate”. Da klingt der europäische Dreiklang durch – China als Partner, Wettbewerber und Rivale, wobei er den Begriff Rivale nicht benutzt, sondern von „challenger“ spricht. Auch betont er stärker die Partnerschaft mit China: „No grouping of states can address the global threats of the climate crisis, pandemics, as artificial intelligence unless it cooperates with Beijing.”

Noch ist die Labour-Strategie gegenüber China nicht ausformuliert. In einem Gespräch mit Rachel Reeves (Chatham House) kündigte Lammy erst einmal eine Bestandsaufnahme der Beziehungen an. Labour plane “a full audit across Whitehall of our relationship with China so that we can set the direction and a course” (Whitehall ist das Synonym für das britische Regierungsviertel). Es soll hierzu eine Expertengruppe gebildet werden. Leiter dieses Gremiums könnte – so ein Gerücht – Kevin Rudd werden. Rudd war australischer Premierminister und ist ein exzellenter China-Kenner. Und nicht minder wichtig: Er hat ein Labour-Parteibuch, allerdings das australische.

Info:

Ein Politico-Artikel über Labours China-Politik: https://www.politico.eu/article/labour-government-uk-china-relations-diplomacy-rival-elections-2024-foreign-policy-david-lammy/

Lammy-Artikel in Foreign Affairs: https://www.foreignaffairs.com/united-kingdom/case-progressive-realism-david-lammy

Lammy im Gespräch mit Rachel Reeves (Chatham House).

https://www.chathamhouse.org/events/all/open-event/securonomics-world

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