Wie war´s? Sonja Mühlberger über ihre Kindheit in Shanghai

Im August 2007 interviewte Felix Lee, der damals taz-Korrespondent in China war, Sonja Mühlberger. Sie wurde Ende der 30er Jahre in Shanghai geboren, nachdem ihre jüdischen Eltern dorthin geflüchtet waren. Über 16 Jahre später trafen sich die beiden wieder, und zwar coram publico bei einer Veranstaltung des CNBW Berlin im WeWork-Gebäude am Potsdamer Platz. . Es war der Wunsch der heute 84jährigen Sonja Mühlberger, dass Felix Lee („der nette junge Mann von damals“) das Gespräch mit ihr moderierte. Er durfte auch eingangs eine Frage stellen, aber dann legte Mühlberger los und erzählte nahezu ununterbrochen die Geschichte, wie sie bzw. ihre Eltern nach Shanghai gekommen waren. Ihr Vater Hermann Krings war schon im KZ Dachau, als ihre hartnäckige Mutter Ilse ihn dort nach drei Wochen „herausholte“, weil sie den Behörden glaubhaft versichern konnte, dass sie nach Shanghai ausreisen würden. Nach Shanghai konnte man damals visumfrei einreisen, weshalb die Stadt zur Zufluchtsstätte von rund 20 000 europäischer Juden wurde. Das Ehepaar Krips kam im April 1939 in Shanghai an. Mit dabei war – allerdings im Bauch ihrer Mutter – das Töchterchen Sonja, das am 26. Oktober 1939 geboren wurde. „Ich war ein neugieriges Kind, ich habe immer gefragt. Deshalb kann ich heute noch so viel berichten.“ Und das tat sie dann ausführlich an diesem Nachmittag. Sonja Mühlberger erzählte kurzweilig – mal witzig, mal ernst – von dem nicht einfachen Leben in dem zweieinhalb Quadratkilometer großen Ghetto. „Jeder versuchte, irgendetwas zu tun und ein bisschen Geld zu verdienen“, sagte sie. Ihr Vater verkaufte Eier, ihre Mutter half einer Schneiderin. Es gab wenig zu essen. „ich war ein schlechter Esser und bemerkte auch nicht den Hunger, den meine Eltern oft erleiden mussten.“ Kontakt zu Chinesen gab es wenig. „Sie haben uns beobachtet“, sagt sie und erzählt dann, dass sie immer wieder von ihnen angefasst wurde, weil sie Haare auf dem Unterarm hatte. Chinesisch hat sie im Gegensatz zu ihrem Vater „leider, leider“ nie gelernt.  Sie lernte stattdessen Englisch, das man in diesem Ghetto von Menschen aus 35 verschiedenen Nationen sprach. Am 21. August 1947 kam die vierköpfige Familie – ein Bruder wurde 1945 geboren – am Görlitzer Bahnhof an. Der Osten Berlins sollte ihre neue Heimat werden. Sie wurde Lehrerin, aber ehrenamtlich auch eine Chronistin des jüdischen Lebens in Shanghai. Zehnmal war sie wieder in der Stadt, in der sie geboren wurde und aufgewachsen ist. „Aber meine Heimat“, sagt sie, „ist Deutschland.“

Info:

Sonja Mühlberger: Geboren in Shanghai als Kind von Emigranten, Jüdische Miniaturen, Hentrich & Hentrich.

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