POLITIK I China und Indien – eiskalter Krieg

   Über allen Gipfeln ist ruh, dichtete einst Johann Wolfgang von Goethe. Das gilt freilich nicht für die höchsten Gipfel der Welt. Dort im Himalaya geht es laut zu, dort wird geprügelt und auch (vorerst nur in. die Luft) geschossen. Hier stehen sich die zwei bevölkerungsreichsten Nationen der Welt gegenüber, China und Indien. Und beide sind Atommächte.

   Streitpunkt ist seit Jahrzehnten der nicht genau definierte Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten, und das auf einer Länge von 3488 Kilometern. Am umstrittensten ist die Gegend in Ladakh. Dort – im Galwan Valley – kam es Mitte Juni zu heftigen Kämpfen. 20 Tote vermeldete das indische Militär, die ersten Opfer seit 45 Jahren. Die Chinesen nannten keine Zahl. Seither kam es wieder zu Scharmützeln, aber „nur“ zu Schlägereien. Die Fäuste flogen, aber die Waffen schwiegen.

  Parallel dazu wurde auch verhandelt. Die Militärs treffen sich regelmäßig. Bei ihrem sechsten Treffen am 21. September vereinbarten sie, auf beiden Seiten die Truppenkontingente nicht zu erhöhen. Wichtiger: Am 11. September einigten sich die beiden Außenminister in Moskau am Rande der SCO-Konferenz und unter russischer Vermittlung auf ein de-eskalierenden Fünf-Punkte-Programm.

  Der neu aufgeflammte chinesisch-russische Konflikt ist auch im geopolitischen Kontext zu sehen. Die USA baggern heftig an Indien, um sie in ihrem Kalten Krieg gegen China auf ihre Seite zu ziehen. Indien ist aber seit Jahrzehnten in seiner außenpolitischen Orientierung schwankend. Früher unter Indira Gandhi war es im sowjetischen Orbit. Später entfernte sich das Land daraus. Aber das hieß nicht, dass es sich dann den USA zuwandte, obwohl verschiedene US-Präsidenten heftig in Neu-Delhi antichambrierten. Unter Premierminister Modi (seit 2014 im Amt) scheint es jedoch eine Annäherung zu geben. Drei wichtige strategische Abkommen mit den USA hat Indien während seiner Amtszeit unterschrieben. Außerdem hat die USA erfolgreich Indien in den Quad (Quadrilateral Security Dialogue) gelockt, dem auch noch Australien und Japan angehören.

   Nicht nur deswegen ist das Verhältnis Indiens zu China sehr gespannt. Auch wirtschaftlich ist Modi voll auf Konfrontationskurs. Noch vor Trump überhaupt wusste, was TikTok und WeChat ist, hat Modi diese und noch viele andere Apps aus Indien verbannt. Sage und schreibe 177 chinesische Apps flogen aus dem indischen Internet.

   Die Zeichen stehen also weiter auf Sturm. Wie wird es deshalb in Ladakh weitergehen? Jetzt kommt erst einmal der harte Winter mit Temperaturen bis zu minus 40 Grad. Auf beiden Seiten wird deshalb kräftig aufgerüstet – mit warmer Kleidung, adäquaten Zelten, Nahrung und Heizmaterialien. Experten schätzen, dass die Kälte die Hitzköpfe auf beiden Seiten beruhigen wird.

  Wenn das Wort kalter Krieg eine Bedeutung hat, dann hier.

 Info-

Meia Bouwens und Henry Boyd: Understanding the military build-up on the China-India Border, IISS Analysis, 18. Juni 2020: https://www.iiss.org/blogs/analysis/2020/06/china-india-border

Tanvi Madan: China is Losing India, Foreign Affairs, 22. Juni 2020: https://www.foreignaffairs.com/articles/asia/2020-06-22/china-losing-india

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