POLITIK | Die Grünen sehen rot

  Es war eher eine Zufallsbekanntschaft – die Beziehung zwischen Reinhard Bütikofer und China. Im Café Einstein Unter den Linden erzählte er vor einigen Monaten, während er mehrere Tassen Kakao trank, wie er einst eher zufällig seine Liebe zu China entdeckte. In England auf einer Radtour. Es regnete. Er fand Unterschlupf in einer Buchhandlung. Und griff wahllos in die Regale. Es war ein Chinesisch-Lehrbuch.

      Es folgte ein abgebrochenes Studium von Philosophie, Geschichte und „zeitweise Sinologie“. Er liebäugelte mit dem Maoismus, war Mitglied des KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland). Und in den 70er Jahren war er auch aktiv in der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft (GDCF).

     Und heute? Von Freundschaft ist keine Rede mehr. Bütikofer gehört innerhalb der Grünen zu den  lautesten Kritikern der Pekinger Führung. Der einstige Parteivorsitzende Bütikofer ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Dort gehört er dem Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten an und ist Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zur Volksrepublik China. Außerdem ist er Mitglied der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC) an, in der sich Anfang Juni rund 150 Abgeordnete aus mehreren Ländern zusammengetan haben. Wortführer dort sind Mark Rubio und Bob Menendez, Republikaner der eine, Demokrat der andere, aber beide – gelinde ausgedrückt – keine China-Freunde.

   Neben Bütikofer sind in dieser Allianz von den Grünen auch Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechte in der Fraktion, und Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher, vertreten. Außerdem ist aus dem deutschen Grünen-Lager noch die Europaabgeordnete Viola Cramon-Taubadel dabei.

   Vertritt dieses kritische Quartett auch die Mehrheitsmeinung bei den Grünen? Davon ist ganz klar auszugehen. Von Jürgen Trittin zum Beispiel hört man etwas differenziertere Töne. Nachzulesen in einer Rede, die er vor kurzem in Bonn im Club La Redoute gehalten hat. Er konstatiert: „Heute sind wir mitten in einem Kalten Krieg 2.0. Diesmal um globale ökonomische Dominanz.“ Doch – und das ist eine andere Position als die von Bütikofer – dürfe sich Europa in diesem amerikanisch-chinesischen Konflikt nicht vereinnahmen lassen. Eine Abkopplung von China, wie es manche in den USA fordern, sei für Deutschland wie für Europa keine Option. Und Trittin plädiert für partielle Zusammenarbeit mit China: „Ohne oder gegen China werden sich viele der globalen Probleme nicht lösen lassen.“ Trittin sieht China also durchaus etwas anders als Bütikofer oder Bause, aber das Vorgehen Chinas gegen Hongkong ließ Trittin, das auch er deutlich missbilligt, näher an das Kritiker-Duo heranrücken.

    Bause, Bütikofer, Trittin – es sind immer einzelne Meinungen von grünen Politikern, die man hört. Sucht man nach einem offiziellen Papier der Fraktion oder der Partei zu China, gelangt man zu einem zehnseitigen Beschlusspapier der Bundestagsfraktion vom 8. November 2016. Das war noch die alte Fraktion, die ihn verabschiedete. Aber er steht immer noch auf der Homepage der Fraktion. Gilt er also heute noch? Die Antwort aus dem Büro Trittin lautet: „China hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Unter Xi Jinping ist das chinesische System autoritärer geworden. Nach Außen tritt das Land offensiver auf. Diese Veränderung erfordert eine Neujustierung des deutsch/europäisch-chinesischen Verhältnisses: Es braucht eine gemeinsame europäische China-Politik – wertebasiert und realistisch.“ Wie jetzt? Wenn ich die Antwort richtig interpretiere, heißt das: Das alte Papier gilt offenbar noch, müsste aber wohl überarbeitet werden.

     Will man wissen, wie die aktuelle Fraktion tickt, sollte man die Große Anfrage der Fraktion vom 9. März 2020 (Drucksache 19/17687) lesen. In der Vorbemerkung zu den anschließenden 100 Fragen an die Bundesregierung steht Grundsätzliches. Es ist die Rede von einem neuen kalten Wirtschaftskrieg. Außerdem: „Das europäisch-chinesische Verhältnis wird komplexer.“  Wie im China-Papier der SPD-Fraktion (siehe vergangene Ausgabe) wird China gleichzeitig als Partner, Konkurrent und Systemrivale der EU eingestuft. Für die Wirtschaftsbeziehungen mit China solle Reziprozität künftig das zentrale Prinzip sein.

     Soweit die Fraktion. Und was macht die Partei? Im Entwurf des gerade diskutierten Grundsatzprogramms der Grünen taucht China expressis verbis nicht auf. Im Vorwort wird allgemein festgestellt: „Weltweit brechen sich Autoritarismus und Nationalismus Bahn.“ In Ziffer 154 wird von einer „Wertesystemkonkurrenz zwischen einem regulierten kapitalistischen und einem autoritär gelenkten Fortschritt“ gesprochen. Ohne China direkt zu nennen, wird im handelspolitischen Teil geschrieben: „Dumping, Protektionismus und mangelnde Regulierung führen zu unfairem Wettbewerb. Der Erwerb von Unternehmensbeteiligungen, Direktinvestitionen, Marktzutritte und auch die Vergabe öffentlicher Aufträge durch und an Dritte sollen auf der Basis von Standards und Gegenseitigkeit erfolgen Außereuropäische Übernahmen müssen dann, wenn nötig, auch untersagt werden. Kritische Infrastruktur und Schlüsselindustrien gilt es zu schützen.“ Ansonsten wird Multilateralismus gepredigt: „Die großen politischen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nur global lösen.“  Das heißt wohl – mit China.

   Ist es denn überhaupt wichtig zu wissen, ob und welche China-Politik die Grünen haben? Ja, natürlich. Es ist wichtiger denn je. Die Grünen könnten ja bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 zweitstärkste Partei werden. Sie könnten Juniorpartner in einer schwarz-grünen Regierung werden. Und der stellt traditionell den Außenminister. Oder es gibt gar grün-rot-rot. Dann stellt sie den/die BundeskanzlerIn. Dann wäre es vorbei mit der Merkelschen Besänftigungspolitik gegenüber China – oder die Grünen lernen, dass Regieren gewissen Zwängen unterliegt. Es wäre nicht das erste Mal. Siehe Joschka Fischer.

Info:

Der Fraktionsbeschluss vom 8. November 2016: https://www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/Chinapolitik.pdf

Informationen über IPAC: https://www.ipac.global/

Trittins Rede in Bonn: https://www.trittin.de/2020/07/10/china-vs-usa-kalter-krieg-2-0/

Die Große Anfrage der Grünen im Bundestag: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/176/1917687.pdf

Entwurf des Grundsatzprogramms: https://www.gruene.de/artikel/veraenderung-schafft-halt-der-entwurf-zum-neuen-grundsatzprogramm

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