Man erkennt die Frauen und Männer an ihrem roten Armband. Im Beijinger Bezirk Chaoyang – mit 3,5 Millionen Einwohnern der größte der Hauptstadt – lesen sie Müll auf, regeln vor Schulen den Verkehr und tun weitere gute Taten in ihrem Bezirk. Doch sie überwachen auch ihre Mitbewohner und denunzieren sie, wenn angebracht. Die Rede ist von den „Chaoyang masses“, einer Art Bürgerwehr, die neben der Polizei agiert. Sie gibt es auch in anderen Teilen der Stadt, zum Beispiel im westlichen Xicheng-Bezirk. Dort nennt man sie die „Westside Mamas“. Oder im östlichen Tongzhou, wo die „the common people of Tongzhou“ ihre Dienste tun. Landauf, landab haben sich in den vergangenen Jahren diese Bürgerwehren etabliert. Über diese Vigilantes (so der englische Ausdruck) hat Jessica Batke in ChinaFile einen interessanten Beitrag veröffentlicht: “The Police‘s Strength Is Limited, but the People’s Strengths Is Boundless”. Sie schreibt: „Vigilante groups and safety promotion associations have sprung up across the country“.
Es gibt ideologische und praktische Gründe für diese Entwicklung. Unter Xi Jinping ist der Begriff der Massenmobilisierung wieder in Mode gekommen. Die Bürgerwehren sind ein Teil davon. In diesem Zusammenhang fällt schon seit Jahren immer wieder der Begriff der „Fengqiao-Erfahrung“ (fengqiao jingyan, 枫桥经验). Fengqiao ist eine Stadt in der Provinz Zhejiang. Unter Mao wurde die Stadt 1963 zum Symbol für die „vorbildliche“ Denunzierung von Abweichlern. 50 Jahre später veröffentlichte Xi Jinping “important instructions on the development of the ‘Fengqiao experience’.”
Der praktische Grund, warum diese Bürgerwehren eine Art Renaissance erleben, ist die ungenügende Ausstattung der Polizei. Diese sei auf die Hilfe der „Hilfssheriffs“ angewiesen, schreibt Batke, denn Chinas Polizei sei „undersized and underfunded“. Wie kann das sein in einem Land, dessen Etat für die innere Sicherheit sehr hoch ist? Als Antwort zitiert sie die Professorin und Buchatorin Suzanne Scoggis: „Much has been made of national budget figures showing that China spends more on internal security than it does on national defense, but the figures do not translate into a financial windfall for ground-level police.” Während die zentralen Behörden der Polizei offenbar im Geld schwimmen, sickert wenig zu den lokalen Diensten durch. Die Bürgerwehren sind deshalb für viele Kommunen eine willkommene Ergänzung zur lokalen Polizei. Wie sie finanziert werden, ist nach Ansicht von Batke nicht ganz klar. Auch die Partei soll an der Finanzierung beteiligt sein. Mitglieder der „Chaoyang masses“ sollen 300 bis 500 Yuan im Monat bekommen. In anderen Städten bekommen sie Prämien (zum Beispiel im Shenzhen-Bezirk Bao’an, wenn sie einen Verdächtigen ausfindig machen) oder Discounts in Hotels sowie Geschäften (wie zum Beispiel in Hangzhou). Wie rekrutieren sich diese Bürgerwehren? Batke schreibt: „It is a mix of students, retirees and middle-aged workers.”
Sie allerdings nur als eine billige Alternative zur Polizei zu sehen, greift nach Ansicht von Batke zu kurz. Man müsse diese Entwicklung vielmehr in einem größeren Zusammenhang sehen. “They function as yet another layer—in addition to the police, grid workers, facial-recognition cameras, and online monitoring and censorship—of the PRC’s surveillance regime.”
Info:
Hier der Beitrag von Jessica Batke in ChinaFile: https://www.chinafile.com/reporting-opinion/features/China-volunteer-police-vigilantes
In drei aktuellen Bücher wird das Thema unter anderem behandelt:
Lynette H. Ong: Outsourcing Repression – Everyday State Power in Contemporary China (Oxford University Press, 286 Seiten, 110 $)
Minxin Pei: The Sentinel State – Surveillance and the Survival of Dictatorship in China (Harvard University Press, 336 Seiten, 31,95 Euro);
Suzanne E. Scoggins: Policing China – Street-Level Cops in the Shadow of Protest (Cornell University Press, 198 Seiten, 42,95$)