Wenn ich in diesen Tagen mit Menschen in China, vor allem in Beijing rede, höre ich meist, er oder sie sei krank. Grippe oder Covid, so genau wisse man es nicht. Eine Infektionswelle hat die Hauptstadt Chinas, aber auch viele andere Städte und Regionen erfasst. Zahlen über Infizierte gibt es nicht mehr, erst recht nicht über Tote. Seit dem 25. Dezember veröffentlicht die National Health Commission (NHC) keine Zahlen und keine Statistiken mehr: „From now on, we will not release the daily pandemic information.“ Es ist wirklich atemberaubend, wie schnell China seine Covid-Politik geändert hat – von Null-Covid zu Millionen-Covid. Anfang November haben Chinas Behörden ein 20-Punkte-Programm mit diversen leichten Lockerungen (“optimization measures“) vorgelegt. Am 8. Dezember dann verkündete die NHC einen Zehn-Punkte-Plan, der de facto eine Abkehr von der bisherigen Null-Covid-Strategie der chinesischen Führung bedeutete. Statt der Bekämpfung des Virus folgt man der Strategie des Lebens mit dem Virus. Der Plan sieht die Abschaffung der verhassten Quarantänezentren vor. Wer milde Symptome hat, soll sich stattdessen in eine Heimquarantäne begeben. Massenhafte PCR-Tests soll es auch nicht mehr geben. Und dann am 26. Dezember die Ankündigung, dass ab dem 8. Januar auch für Einreisende keine Quarantäne mehr vorgeschrieben werde. Es reicht lediglich ein PCR-Test, der 48 Stunden vor Ankunft gemacht werden muss (siehe dazu auch EINREISEN I Mehr Flüge, teurere Tickets). Was zu dieser Kehrtwende führte, ist nur schwer zu verstehen: Waren es die Proteste Ende November? War es die miese wirtschaftliche Situation? Oder beides? Die Bevölkerung traf jedenfalls die Abkehr von der Null-Covid-Strategie unvorbereitet. Viele waren irritiert. Im Westen, in dem man lange Zeit die rigorose Null-Covid-Strategie kritisiert hat, kritisierte man weiter. Zu schnell, zu abrupt sei der Wechsel vollzogen worden. Man hätte mehr Zeit zum Impfen geben müssen. Stellvertretend für diese westlichen Kritiker sei hier der Virologe Christian Drosten zitiert. Er sagte am 27. Dezember im Tagesspiegel: „Der große Fehler in China war, dass in der Bevölkerung, insbesondere in der älteren, kein Bewusstsein für das Impfen entstanden ist. Von der Krankheit war ja aufgrund der Blockierung nichts zu sehen. Daher ist unter den Älteren die Impfquote niedrig.“ Die letzten offiziellen Zahlen vom 14. Dezember lauten: Die Impfquote bei den über 60jährigen beträgt 69,8 Prozent, bei den über 80jährigen lediglich 42,4 Prozent. Zwar gibt es derzeit einer Impfkampagne speziell für Ältere, aber ob und wie sie erfolgreich ist, weiß man noch nicht. Beijing will zum Beispiel bis Ende Januar über 90 Prozent der über80jährigen zumindest mit einer Dosis geimpft haben. Aber bis dahin werden sich viele Menschen infiziert haben und auch gestorben sein. Aber – wie gesagt – Zahlen gibt es keine mehr. Ab und zu sickert der Tod von Prominenten durch: Der Ex-Fußballspieler Wang Ruoji (37), die Opernsängerin Chu Lanlan (40) oder Wu Guanying (67), der Erfinder des Maskottchens von Olympia 2008. Ansonsten kursieren Horrorzahlen über Infizierte und Tote sowie Berichte über überfüllte Krankenhäuser und Krematorien sowie fehlender Medikamente. Vor allem die Hauptstadt Beijing, aber auch die Provinz Sichuan seien betroffen. Doch auch die anderen Städte und Provinzen werden bald hohe Zahlen vorweisen, zumal ja bald die große Reisewelle zum chinesischen Neujahrsfest (dieses Jahr am 22. Januar) beginnen wird. Studien sprechen von einer Milliarde Infizierten und einer Million Toten bis zum Peak. Aber wann wird dieser Peak erreicht sein? Zeng Guang, ehemaliger Chief Scientist des Chinese Center for Disease Control and Prevention sagte dem China Business Journal: „It would take two or three months for the different parts of the country to peak.” Nicht ganz so optimistisch ist Mark Woolhouse, Epidemologe an der University of Edinburgh: “Omicron will take time to work its way around China, so I expect the current wave to last several months at least.”
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