Am Mittwoch, dem 30. November 2022, fand im Deutschen Bundestag auf Verlangen der Ampelfraktionen eine aktuelle Stunde zu China unter dem Titel „Proteste in China und deutsche Chinapolitik“ statt. 13 Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Parteien legten ihre Sicht der Ereignisse dar und diskutierten mögliche Konsequenzen und Auswirkungen auf die deutsche Chinapolitik. Imke Vidal hat sich die Reden angehört, fasst sie ausführlich zusammen und kommentiert kurz. Es entsteht ein Gesamtbild von Zeitgeist und Selbstbegrenzung in der deutschen China-Debatte.
- Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen)
Erster Redner der aktuellen Stunde war Jürgen Trittin, der die chinesische Zero-Covid-Politik zu Beginn seiner Rede pauschal als „gescheitert“ bezeichnete. „Gegen Omikron hilft es nicht, wegzusperren“, wetterte der Grünen-Politiker und sprach von einer „Sackgasse“, in die China sich manövriert habe. Nichts wolle China an der gescheiterten Politik ändern, sondern stattdessen „Vollgas geben“. Und „dagegen wird zu recht aufbegehrt!“ sagte Trittin und folgerte: „Dagegen brauchen wir eine neue Chinastrategie!“ Denn China sei auf Dauer kein verlässlicher Markt mehr. „Unsere Antwort auf Xi Jinpings angedrohte Repressionswelle“ müsse ein Lieferkettengesetz und ein Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit sein. So sollten insbesondere deutsche Firmen, die in China beispielsweise in Xinjiang agieren, dies „künftig auf eigene Rechnung“ tun. So nämlich, fand Trittin, „geht eine menschenrechtsbasierte Außenwirtschaftspolitik“!
Der außenpolitische Sprecher der Grünen nahm auch den US-Konzern Apple ins Visier. „Wer über den chinesischen Polizeistaat schimpft, der darf über Apple nicht schweigen!“ sagte Trittin, dessen Kritik sich vor allem darauf bezog, dass Apple in China die Airdrop-Funktion eingeschränkt hat, was während der Proteste verhinderte, dass Videos oder Bilder der Proteste schnell über Airdrop geteilt werden konnten.
Kommentar: Inwiefern es sinnvoll ist, wenn die Bundesregierung ihre Chinastrategie an den Protesten in China ausrichtet, sei mal dahingestellt. Es darf aber bezweifelt werden, dass unsere Chinapolitik viel Einfluss auf die chinesische Corona-Politik haben könnte, wie Trittin zu glauben scheint. Eher schon darf der Grünenpolitiker hoffen, dass hierzulande manch einer seiner Aufforderung folgt und auf ein neues iPhone unter dem Weihnachtsbaum verzichtet.
2. Johan Wadephul (CDU/CSU):
Johan Wadephul postulierte, dass die Proteste in China vor allem eines zeigen: nämlich dass die Regierung in China „auf tönernen Füßen“ stehe. Und das, obwohl Xi Jinping mächtiger denn je aus dem 20. Parteitag in China hervorgegangen sei. „Dieses Regime ist vulnerabel“, sagte der Unionspolitiker und schien das zu begrüßen. Es bedeute, „dass wir uns positionieren können und müssen und dass wir dazu auch eine Möglichkeit zum Einwirken haben“. Voraussetzung dafür sei allerdings eine „kohärente Chinapolitik der Bundesregierung“ und an dieser scheitere es in den Augen des Unionspolitikers bisher. Das zeige auch die Chinareise des Bundeskanzlers, die Wadephul als „Reise der verpassten Chancen“ bezeichnete. Außenministerin Baerbock hätte es gern gesehen, dass man in China eine Reihe kritischer Themen anspreche. Der Kanzler, kritisierte Wadephul, habe „davon überhaupt gar nichts gesagt“, er entscheide eben alleine und „er macht eine verkehrte Außenpolitik“. Wadephul war überzeugt: „Wer in der jetzigen Situation verkennt, dass China sich massiv verändert, dass China sich immer mehr von einem autoritären zu einem diktatorischen System wandelt, das internationale Regeln nicht achtet, sondern eine sino-zentrische Weltordnung errichten will, und dass Deutschland gemeinsam mit europäischen Partnern sich dazu positionieren muss, der erkennt die Zeichen der Zeit nicht! Und das gilt für den Bundeskanzler!“ Die Lösung des Problems wäre eine „kohärente deutsche Chinapolitik“. Und diese ist für Wadephul eine, die klarmache, China “ist ein systematischer Rivale, dem wir uns gemeinsam mit unseren europäischen Partnern entgegenstellen!“
Kommentar: Wadephul möchte sich China mit vereinten Kräften entgegen stellen. Vor allem aber dem deutschen Bundeskanzler! Denn wenn man ihn genau beim Wort nimmt, wird Deutschland von einem seiner Zeit entrückten Alleinentscheider namens Scholz regiert. Warum er glaubt, dass die Regierung auf tönernen Füßen steht, verrät er dagegen nicht. Das nämlich haben schon viele vor ihm prophezeit – schon vor Jahrzehnten. Bisher hat der chinesische Ton Stabilität bewiesen.
3. Dagmar Schmidt (SPD):
„Ich wünschte, es gäbe einen schöneren Grund über China zu reden“, eröffnete Dagmar Schmidt ihre Rede, bevor sie den chinesischen Protestierenden „unsere Solidarität“ und „unser Mitgefühl“ aussprach. „Am vergangenen Wochenende haben so viele Menschen in China protestiert wie seit 1989 nicht mehr“, wusste die SPD-Abgeordnete. „Sie protestieren gegen eine Corona-Politik, die keine Exit-Strategie hat, die die Menschen einsperrt, überwacht, drangsaliert und immer öfter zu Elend und Tod führt(…). Wir fühlen mit ihnen und stehen an ihrer Seite.“ Schmidt ergänzte sinngemäß: Auch wir hätten in der Pandemie keine perfekte Lösung parat gehabt. Aber zumindest diskutiere man bei uns. Man wäge ab, korrigiere Fehler und passe die Politik an. „Gleichzeitig diskutieren wir Probleme wissensorientiert und lösen sie“. Wir jedenfalls “haben zusammengehalten, darauf können wir stolz sein!“ lobte die SPD-Politikerin den deutschen Umgang mit der Krise. Sehr früh in der Pandemie sei auch die Systemfrage gestellt worden. Die Frage also, wer den Herausforderungen einer Pandemie besser gewachsen sei, Demokratie oder Autokratie. Für Schmidt war klar: China hat „den Ausstieg aus der Null-Covid-Strategie verpasst, weil sie eben längst keine Strategie mehr war, sondern ein Dogma!“ China hatte die schlechteren Impfstoffe, die falsche Impfstrategie und hat überhaupt systematisch alles falsch gemacht, so konnte man Schmidts Rede verstehen. Drei Jahre autokratische Covid-Politik hätten zwar dazu geführt, dass es in China wenig Infektionen und kaum Tote gegeben habe, „aber zu welchem Preis?“
Kommentar: Spätestens die hier implizierte Aussage, in China habe es wenig Infektionen und kaum Tote gegeben, doch zu einem zu hohen Preis, macht doch stutzig. Die Aussage verkennt, dass China schon mit der Pandemie konfrontiert war, als es noch wenig Wissen und vor allem keine Impfstoffe gegen das Virus gab. Es verkennt, dass Zero-Covid zumindest in der Anfangsphase keine absurde Strategie war, kein Dogma autokratischer Machtpolitik, sondern zunächst die einzige Möglichkeit, der Lage in den dichtbesiedelten Städten Chinas wieder Herr zu werden. Unstrittig ist, dass China den Moment zur Lockerung und Abkehr von Zero-Covid verpasst hat. Auch, dass die strikten Lockdowns in China viel Leid gebracht haben. Inzwischen wissen wir, dass China eine 180-Gradwende hingelegt und viele Maßnahmen aufgehoben hat. Doch schon schwingt die westliche Kritik in eine andere Richtung: Die Medien übertreffen sich jetzt in den Hochrechnungen der zu befürchtenden Opferzahlen in China. Auch hier zeigt sich die Kurzlebigkeit der Bundestagsdebatte.
4. Jürgen Braun (AfD)
Die Polemik der Vorrednerin von „Tod und Elend“ lud geradezu zur Gegenpolemik ein. Der AfD-Abgeordnete Jürgen Braun dürfte seine Rede allerdings schon vorher so rhetorisch überspitzt geplant haben, wie er sie dann auch vortrug. Deutschland könne es sich schwerlich leisten, das chinesische Vorgehen zu kritisieren, so Braun. Noch bis 2021 habe man es in Deutschland kaum anders gehandhabt. Die Polizeigewalt sei hierzulande auf dem Vormarsch, wie man es seit dem Ende des SED-Regimes nicht mehr erlebt habe. Die nun im Bundestag kritisierte chinesische Zero-Covid Strategie, so Braun, unterscheide sich nicht von deutscher Staatsraison. Nur mutige Bürgerproteste hätten hierzulande das Schlimmste verhindern können, sagte Braun. Nach einem kurzen verschwörungstheoretischen Umweg gelangte Braun schließlich zu seinem Resümee: „Wenn jetzt noch die Maskenpflicht komplett fällt, dann haben wir endlich unsere Freiheit wieder. Und das wünsche ich auch den mutigen Menschen in China!“
Kommentar: Dass Jürgen Braun die Bürgerproteste in Deutschland und China vergleicht, und hüben wie drüben den „Mut“ lobt, ist eine allzu durchschaubare Provokation. Selbst einem AfD-Mann dürfte klar sein, dass es in Deutschland nicht viel Mut braucht, auf die Straße zu gehen, solange man es schlimmstenfalls mit Wasserwerfern zu tun bekommt. Ähnlich absurd ist der Vergleich der Corona-Maßnahmen in Deutschland und China. Sie hätten unterschiedlicher kaum sein können.
5. Alexander Graf Lambsdorff (FDP)
Graf Lambsdorff wollte die Unannehmlichkeiten der chinesischen Bevölkerung im Kampf gegen das Virus im größeren, geopolitischen Kontext betrachten. Also holte er weit aus: “Nach dem Schulterschluss mit Xi Jinping hat Vladimir Putin die Ukraine angegriffen. Chinas Drohgebärden gegenüber Taiwan waren nie so offensiv wie in diesem Jahr. Im Iran warfen tausende von Frauen den Hijab ab und seitdem erschüttern Demonstrationen das gesamte Land.“ Lambsdorffs Schlussfolgerung: „Putin sieht sich schweren innenpolitischen Verwerfungen gegenüber, einer massiven internationalen Isolation und einem militärisch-strategischen Fehlschlag. Das Mullah-Regime im Iran bekämpft den Aufstand einer breiten iranischen Öffentlichkeit, der sich an der Brutalität des Regimes entzündet hat. Und Xi Jinping erntet die Früchte seiner Corona-Politik. Das Volk hat nach Jahren einer exzessiven, repressiven Zero-Covid-Strategie zurückgeschlagen und verbindet dies mit politischen Forderungen. Wer wollte ihnen das verdenken!“
Über Chinas Covid-Politik urteilt Lambsdorff weiter: „Zahl und Intensität staatlicher Willküreingriffe in China sind genauso erschreckend, wie die hartnäckige Weigerung der Machthaber in Peking endlich westliche Impfstoffe ins Land zu lassen.“ Stattdessen, so Lambsdorff, beharre Peking auf Sinovac, „einem minderwertigen Impfstoff, für den die Impfquote vollkommen unerheblich ist.“ Im Namen eines „großen Bildes“ folgert er: „Am Ende dieses Jahres zeigt sich überdeutlich, dass nationalistische, islamistische und kommunistische Diktaturen scheitern. Sie scheitern an ihrem Anspruch, ihren Bürgerinnen und Bürgern ein besseres Leben in Freiheit, Wohlstand und Würde zu garantieren, als der von ihnen so oft geschmähte und angeblich verachtete Westen. Aber am Verhalten der Menschen in exakt diesen Ländern, in diesen Diktaturen sieht man, wie verlogen die Politik der Machthaber in Wahrheit ist. Die Demonstranten wollen ihren Landsleuten nicht etwa eine westliche Lebensweise aufzwingen, das hat mit West und Ost, Nord und Süd überhaupt nichts zu tun. Nein, was wir im Kontext des größeren Bildes sehen, das ist die ureigene Sehnsucht des Menschen nach einem Leben in Freiheit und Würde. Das ist eine Sehnsucht, die auch die Menschen in China haben. Frei reisen, frei glauben, frei lieben. Paradoxerweise sind die universellen Menschenrechte, die ja gerade deswegen so erfolgreich, so wirkmächtig, weil sie in höchstem Maße individuell sind. Aber es zählen auch dazu: frei publizieren, frei demonstrieren und frei wählen. In der Geschichte der Menschheit gibt es kein Gesellschaftsmodell, das die Unverletzbarkeit der Menschenwürde in so hohem Maße gewährleistet wie die freiheitliche Demokratie. Und der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen den liberalen und den illiberalen Gesellschaften besteht darin, dass erstere Kritik zulassen und letztere sie mit allen Mitteln zu unterdrücken suchen. Das Jahr 2022 hat uns diesen Unterschied auf mannigfaltige Weise gezeigt. Eben zuletzt in China. Und viele, die in Russland, im Iran oder auch in China auf Missstände hinweisen, riskieren damit lange Haftstrafen, Umerziehungslager oder unterschreiben sogar ihr Todesurteil. Ihr Mut, meine Damen und Herren, ihr Mut ist uns Beispiel, wir verneigen uns vor ihnen. Wir verneigen uns vor den Menschen, die sich für Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat einsetzen – im Iran, in Russland und jetzt auch im China von Xi Jinping.“ Soweit Lambsdorff.
Kommentar: Russland, Iran und China, die drei musste der Graf schon in einem Atemzug nennen, um behaupten zu können, Demonstranten unterschrieben mit ihrem Handeln das eigene Todesurteil. Soweit aber ist es in China in Folge der Demonstrationen im November dieses Jahres bisher nicht gekommen. Lambsdorff nimmt an, dass Russen, Iraner und Chinesen alle dasselbe wollen, nämlich Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat, und dass sie genau dafür auch in China demonstrieren gingen. Ob das allerdings die Beweggründe für die Mehrheit der Protestierenden in China waren, ist indes völlig unklar. Was aber mit denjenigen Chinesinnen und Chinesen, denen es bei ihrem Protest nur um die Corona-Maßnahmen ging? Sind sie weniger mutig?
6. Sevim Dagdelen (Die Linke)
„Gegen repressive Covid-Maßnahmen zu demonstrieren, ist ein Menschenrecht. Unabhängig davon ob es in China, Kanada oder anderswo in der Welt ausgeübt wird“, sagte Sevim Dagdelen, dann teilte sie aus: Wer die Universalität der Menschenrechte verteidige, der dürfe dann nicht in unterschiedlichen Ländern völlig andere Maßstäbe gelten lassen. „Denn eines geht nicht, meine Damen und Herren, hier in Deutschland nach Lockdowns, Ausgangssperren, Schulschließungen und Impfpflichten zu rufen, und die Proteste dagegen unisono als rechts oder Covidioten oder als Schwurbler zu denunzieren, und alle diejenigen, die in China gegen die Maßnahmen der Zero-Covid-Politik gerechtfertigt demonstrieren, als Freiheitskämpfer zu erheben.“ Mit solchen „doppelten Standards“ habe man, was die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik insgesamt angeht, international bereits schweren Schaden angerichtet. Eine Spitzenposition habe Deutschland derweil nur noch im Bereich der Doppelmoral inne, sagte Dagdelen und warnte davor, sich diese Doppelmoral auch in Punkto China anzulegen. Denn: „Wer lediglich weltmeisterlich bei der Doppelmoral ist, der verspielt jede Glaubwürdigkeit, um global für Menschenrechte und die Einhaltung des Völkerrechtes einzustehen.“ Man müsse also weg von der Doppelmoral, stattdessen hin zu einer „vernünftigen“ Realpolitik, forderte Dagdelen. Es gelte, „auf Diplomatie und Ausgleich“ zu setzten anstatt auf „ideologiebetriebene Blockkonfrontation im Dienste einer vermeintlich höheren Moral.“ Auch das „Gerede von systemischer Rivalität“ hält die Politikerin für gefährlich. Es führe zu einer Blockkonfrontation, die Deutschland sich mit seinem wichtigsten Handelspartner nicht leisten könne. Ebensowenig wie eine Entkopplung von China. „Wer weniger Abhängigkeit fordert, muss auch ehrlich sagen: Abhängigkeit ist die Grundlage unseres Wohlstandes. Weniger Abhängigkeit, bedeutet weniger Wohlstand. Das müssen Sie einfach ehrlich mal sagen,“ so Dagdelen.
Kommentar: Zu den Protesten in China sagte die Linken-Abgeordnete wenig. Dafür mehr zum deutschen Umgang mit China. Man kann das kritisieren oder es als den ehrlicheren Umgang mit dem Thema der aktuellen Stunde betrachten. Dagdelen ging jedenfalls nicht in die Falle, aberwitzige Prognosen zu China abzugeben, die eine Woche später bereits als widerlegt gelten konnten.
7. Nils Schmid (SPD)
Als Nachredner der Linken-Abgeordneten, ließ es sich Nils Schmid nicht nehmen, gleich auf Dagdelens Rede einzugehen. „Wie tief muss man sinken, liebe Kollegin Dagdelen,“ fragte er, „um bei einer Rede zur chinesischen Corona-Politik nur eine Aussage zu treffen, die bezogen auf die Corona-Politik in China aus Ihrem Munde kam, nämlich sie zu vergleichen mit den deutschen restriktiven Maßnahmen, als wir Corona bekämpft haben. (…) Und wie erbärmlich ist es, dass Sie über alles andere reden, bloß nicht über die Unterdrückung der Menschenrechte in China! Wie erbärmlich ist das!
Schmid fuhr fort: „Ich hätte mir schon gewünscht, dass angesichts der dystopischen Bilder, die uns aus China seit Jahren erreichen, Sie ein paar Worte des Mitgefühls für abertausende, ja Millionen von Menschen gefunden hätten, die seit Jahren weggesperrt worden sind. Wo Säuglinge von ihren Eltern getrennt werden, wo massenhaft Infizierte interniert werden. Das ist doch dabs, was uns aus China erreicht. Und das hat in der Tat mit den restriktiven Maßnahmen, die in demokratischen Gesellschaften im Zuge der Corona-Bekämpfung getroffen worden sind, nichts, aber überhaupt nichts zu tun!“
Im Kontrast zu diesem „dystopischen“ Chinabild gab es für Nils Schmid aber auch „ermutigende Bilder aus China.“ Es verhalte sich nämlich so, erklärte Schmid: „Die Gesellschaft in China wird sich weiterentwickeln (…) die Kraft der Freiheit wird sich früher oder später auch in China durchsetzen und sich bahnbrechen, und die Menschen in China werden über den Weg, den sie durch ihr Leben schreiten wollen, individuell entscheiden können.“ Dieses, so Schmid, „wollen wir nach Kräften von außen befördern und unterstützen, denn wir teilen mit diesen Chinesinnen und Chinesen diesen Wunsch nach Freiheit.“
In der Bekämpfung des Corona-Virus sei die Systemrivalität zwischen autoritären und demokratischen Systemen deutlich zutage getreten; sagte Schmid und stellte seine Sicht der Dinge dar: „Der Streit um die beste Lösung ist in Demokratie möglich. Das Ringen um bessere Lösungen, das Auswerten von nicht so erfolgreichen Lösungsansätzen, das ständige Verbessern der Politik ist bei uns im Parlament und außerhalb des Parlamentes, auf der Straße, in den Medien möglich. Während es in China nicht möglich ist. Und deshalb ist China, ist Präsident Xi jetzt in dieser Sackgasse, aus der er nicht herauskommt. Und ich habe die Vermutung, dass es schon lang nicht mehr nur um den richtigen Weg der Corona-Bekämpfung geht. Sondern letzten Endes erleben wir gerade ein gesellschaftliches Großexperiment in China, wie lange sich eine Gesellschaft es sich bieten lässt, dass ein ganzes Volk weggesperrt wird. Denn Chinas Politik der letzten Jahre zielt ja auch auf eine Abschottung von der Welt aufgrund des Austausches mit anderen Gesellschaften in der Welt. Und deshalb ist es auch so verständlich, dass die Chinesinnen und Chinesen sich das nicht länger bieten lassen.“
Schmid gibt aber zu bedenken: „Die Repressionsmittel sind groß und stark, deshalb können wir nicht darauf setzten, dass sich mit einem Schlag Demokratie und Freiheit durchsetzen“. Drei Dinge aber könne man deutlich machen: „1. Friedliche Proteste, das Recht auf freie Meinungsäußerung auf der Straße muss auch in China gelten. 2. Berichterstattung über solche Proteste muss möglich sein für Journalisten aus dem In- und Ausland. Es darf nicht sein, dass Journalisten weggesperrt werden, festgenommen werden, ja misshandelt werden. Und 3. bei aller Systemrivalität und allem Wettbewerb, den wir in Wirtschafts- und Technologiefragen mit China austragen: Es gibt auch ein Angebot zur Kooperation. Es gibt Impfstoffe westlicher Provenienz, die selbstverständlich auch der chinesischen Regierung angeboten werden.“
Kommentar: So ganz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier jemand spricht, der sich und seinesgleichen für überlegen hält. Die Gesellschaft in China werde sich weiterentwickeln – das klingt, als lägen die als dystopisch beschriebenen Zustände in China nicht zuletzt auch an der Rückständigkeit der chinesischen Gesellschaft. Die systemische Überlegenheit passt da nur allzu gut ins Bild. Kein Wunder, scheint Schmid sagen zu wollen, dass China mit dem falschen politischen System das Virus nicht in den Griff bekam. Dennoch verkennt diese überspitzte Sicht durch Brillengläser westlicher Provenienz, dass das chinesische „System“, dass also der „Rivale“ durchaus hätte Erfolg haben können. China hat mit genau diesem System in der Vergangenheit bereits andere Epidemien überwunden. Und auch in dieser Pandemie war der chinesische Ansatz der „autoritären“ Pandemiebekämpfung nicht von Beginn an grundverkehrt. Hätte China rechtzeitig auch andere Impfungen zugelassen, hätte die Strategie genauso gut aufgehen können. Dann hätten wir vielleicht anerkennen müssen, dass China letztlich weniger Todesopfer zu beklagen hat. Dass es anders kam, ist natürlich auch ein systemisches Problem in China. Nur dürfen wir uns nicht dazu verleiten lassen, die Dinge schwarz und weiß zu sehen. Wenn uns das chinesische Volk wirklich so am Herzen liegt, wie manch einer glauben macht, ist jetzt nicht die Zeit für hämisches Grinsen über den Misserfolg des systematischen Rivalen.
8. Nicolas Zeppelius (CDU/CSU)
„Die Bilder, die wir aus China erhalten,“ sagte Nicolas Zeppelius, „die haben Gründe. Langfristige Gründe, nämlich die Zero-Covid-Politik, welche die Kommunistische Partei seit fast drei Jahren rigoros durchsetzt, und kurzfristige Gründe. In diesem Fall der Lockdown in Xinjiang, in Folge dessen 10 Personen zu Tode gekommen waren. Zu Tode gekommen, weil sie das Gebäude nicht verlassen konnten, da sie da eingesperrt waren.“ Zeppelius glaubt: „… die Proteste haben ihren Ursprung in einem ureigenen Streben des Menschen. Und zwar einem Streben nach Freiheit.“ Landesweite Proteste zum gleichen Thema aber seien in China extrem selten. Der Unionspolitiker rät darum, genauer hinzusehen, denn er ist überzeugt: Es „demonstriert (in China) ein Querschnitt der Bevölkerung. Alt und jung, Intellektuelle, Arbeiter, Landwirte, Studenten, Han-Chinesen und andere Ethnien.“ Daraus, sagte er, gelte es die richtigen Schlüsse zu ziehen. Tatsächlich sollte die Zero-Covid Politik ursprünglich die Überlegenheit des chinesischen Systems gegenüber dem Westen zeigen. Die anfänglichen Erfolge aber hätten sich inzwischen zerschlagen, stellte Zeppelius fest und folgerte: „…wir sehen auch daran sehr genau, autoritäre Systeme sind eben keine Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit!“
Im Rest der Rede beschäftigte sich Zeppelius mit der deutschen Chinapolitik: „Und da kann es nicht ganz ohne Kritik bleiben“, sagte er. Die Außenministerin beispielsweise sei bisher zu den Protesten in China „absolut stumm“ geblieben. Und das, obwohl wir laut Zeppelius wissen, „dass zum Beispiel laut Art. 35 der chinesischen Verfassung die Rede- und Versammlungsfreiheit geschützt ist.“ Die CDU/CSU Fraktion erwarte insofern, dass das Außenministerium „da eine klare Botschaft übersendet.“ Die Chinastrategie, kritisierte Zeppelius, hänge dem Zeitplan hinterher, und es sei unakzeptabel, dass sie an Journalisten durchgestochen werde, während Anfragen der CDU/CSU zu dem Thema mit standardisierten Antworten abgetan würden.
Auch der „werte-geleitete Ansatz“ der Außenministerin bröckele gewaltig, meinte Zeppelius. Und wetterte: „Er bröckelt nicht auf internationaler Bühne, nein, der zerbröckelt am Widerstand 400 Meter von hier entfernt im Bundeskanzleramt“. In der Chinastrategie der Bundesregierung, kritisierte er, komme das Wort Diaspora nicht vor. „Wenn wir allerdings wissen, welche Bedeutung Auslandschinesen für die chinesische Führung haben, ist dieser blinde Fleck in der Ausarbeitung des Außenministeriums geradezu fatal!“ so der Abgeordnete. Ebenso kritisch betrachtete er scheinbare Widersprüche in der Regierung. „Die Außenministerin will nach außen Härte projizieren, und gleichzeitig trifft sich der Bundeskanzler unter vier Augen in China mit Xi Jinping und spricht danach von Verlässlichkeit und Vertrauen.“ Ein renommierter französischer Chinaexperte habe über das Statement des Bundeskanzlers zu Verlässlichkeit und Vertrauen bereits „pures Entsetzen“ geäußert.
Kommentar: Recht hat Zeppelius mit seinem Verweis auf die chinesische Verfassung. Auch in China sind Versammlungen erlaubt. Aber auch weniger autoritäre Regierungen behalten sich vor Versammlungen aufzulösen oder gar nicht erst zuzulassen. So auch China. Nur ist es überspitzt, so zu tun, als verstoße China per se gegen die eigene Verfassung und als sei es Aufgabe der Bundesregierung, in China die Einhaltung der Verfassung durchzusetzen. Das ambivalente Verhalten der Bundesregierung hingegen ist in der Tat bemerkenswert. Dass es ausgerechnet die Worte „Verlässlichkeit“ und „Vertrauen“ sind, die „pures Entsetzen“ auslösen, zeigt wie übersensibel man bei uns bereits auf China reagiert.
9. Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen)
„Die Unzufriedenheit mit der Covid-Politik der chinesischen Regierung ist so groß, dass viele Menschen bereit sind, enorme Risiken auf sich zu nehmen und ihre Meinung öffentlich zu äußern.“ sagte Grünen-Politiker Lindner. Und weiter: „Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die immer willkürlichere Durchsetzung der sogenannten Null-Covid-Politik nicht mehr von der Bevölkerung akzeptiert wird. Und sie zeigen auch, meine Damen und Herren, dass es den Menschen in China eben nicht egal ist, was in Xinjiang passiert. Die Solidarisierungen zwischen Chinesinnen und Chinesen und den in Xinjiang unterdrückten Uiguren hat sich damit zum ersten mal innerhalb Chinas öffentlich und für jeden sichtbar gezeigt.“
Auch Lindner stellte fest, „dass die Forderungen nach Lockerung der Covid-Regelungen vielfach auch mit Forderungen nach politischem Wandel verbunden werden.“ Er forderte Respekt und Hochachtung vor dem „Mut derjenigen Menschen in China, die es wagen, sich der allgegenwärtigen Überwachung, der Unterdrückung und Einschüchterungsversuchen durch staatliche Stellen offen entgegen zustellen“. Lindner appellierte an die Regierung in China, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu achten und insbesondere den Schutz der Presse zu gewährleisten. Die Inhaftierung und Misshandlung eines BBC-Journalisten sende „ein besorgniserregenden Zeichen“ in die Welt.
Man hoffe, dass die chinesische Regierung auf die Anliegen der Protestierenden eingehen werde. Erste Zeichen dafür seien bereits sichtbar. Ein Beispiel sei die Aufhebung bezirksweiter Lockdowns in Kanton. Ob dies aber von Dauer sein werde, das bleibe abzuwarten. Die chinesische Regierung stehe angesichts neuer Varianten, die ansteckender sind als die bisherigen, und stark zunehmender Fallzahlen vor einem Dilemma. „Und in diesem Kontext hat unser von Bundeskanzler Scholz gemachtes Angebot zur Zusammenarbeit bei mRna-Impfungen in China eine herausragende Bedeutung.“ So Lindner.
Bezüglich der Chinastrategie heißt es bei Lindner: „Wir wollen eine enger koordinierte, mehr an unseren europäischen Werten und Interessen ausgerichtete Chinapolitik.“ Einseitige Abhängigkeiten von China müssten reduziert werden. Diversifikation solle stattdessen gefördert werden. „Lassen Sie es mich klar sagen: Deutschland ist eine offene Marktwirtschaft, die sich Investitionen wünscht und fördert. Aber diese dürfen nicht unsere öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden. Und wir haben aus dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine bitter lernen müssen, welche Folgen einseitige Abhängigkeiten für unsere Volkswirtschaft haben können.“ Diesen Fehler werde man kein zweites Mal mehr begehen. Von China entkoppeln wolle man sich hingegen nicht. „Wo Dialog und Zusammenarbeit möglich sind, wollen wir diese fortsetzen“, sagte Lindner. Und weiter: „Die Europäische Union definiert ihre Beziehungen zu China in einem Dreiklang. Partner, Konkurrent, systemischer Rivale. Und wir müssen leider feststellen, dass die systematische Rivalität aktuell immer mehr Raum einnimmt, dass sie eben zum dominierenden Faktor wird.“
Doch wenn es um globale Themen wie Klimaschutz gehe, sagte Lindner, käme man ohne das bevölkerungsreichste Land der Erde nicht aus. „Vor diesem Hintergrund müssen wir dort, wo Partnerschaft richtig und wichtig ist, dann Partnerschaft auch entsprechend denken.“ Wir müssten uns außerdem „mit dem China auseinandersetzen, wie wir es tatsächlich vorfinden, nicht wie wir es uns wünschen oder wie wir es gerne hätten“, so Lindner weiter. „Liebe Kolleginnen und Kollegen,“, appellierte der Grüne abschließend, „Zusammenarbeit mit China ist somit weiter wichtig, aber lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Wir wollen eine Zusammenarbeit nach den Grundsätzen und Spielregeln der internationalen, regelbasierten Ordnung, im Einklang mit unseren Interessen und unseren Werten. Und es entspricht unseren Werten, dass Kritik an der Regierung und das Recht auf freie Meinungsäußerung möglich sein müssen. Und deshalb stehen wir heute solidarisch an der Seite aller Menschen, die ihre elementaren Grundrechte, auch und gerade freie Meinungsäußerung wahrnehmen wollen, in China und weltweit.“
Kommentar: Lindners These, die Covid-Proteste in China seien auch als Solidarisierung mit den Uiguren zu sehen, beruht allein auf der Tatsache, dass Auslöser der Proteste ein Brand in Xinjiang war. Dass es insofern um Solidarität mit der uigurischen Minderheit in China ginge, lässt vermuten, dass Lindner davon ausgeht, dass in China die Lage der Uiguren als unterdrückte Minderheit weithin bekannt ist. Es wäre auch die Gegenthese denkbar: Man reagiert auf den Brand in Urumqi, weil Xinjiang zu China gehört, weil dort verschiedene Minderheiten leben und eben auch Han-Chinesen, und weil Urumqi einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt hat, was in China jedem hätte wiederfahren können.
Als einer der wenigen Redner erkennt Lindner die sich bereits andeutenden Anzeichen in China, hin zu einer Lockerung der Covid-Politik. Er erkennt an, dass auch die Option besteht, dass die Regierung in China den Protesten nachgibt, anstatt ausschließlich gewohnt autoritär Proteste niederzuschlagen und auf bestehenden Regeln zu beharren. Die wichtigste Botschaft bezüglich der deutschen Chinastrategie ist, dass Zusammenarbeit mit China nicht nur weiterhin wichtig ist, sondern, vor dem Hintergrund globaler Krisen wie dem Klimawandel, sogar unabdingbar.
10. Gyde Jensen (FDP)
Die FDP-Abgeordnete Gyde Jensen eröffnete ihre Ansprache mit einem Zitat aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. „Jedes Wort dieses Satzes ist elementar!“ sagte Jensen. Aber vor allem das Wort „frei“ mache besonders Autokraten in der Welt riesige Angst. Alle Menschen nämlich, so Jensen, „tragen diesen Wunsch nach Freiheit, nach Selbstbestimmung in sich.“ Auch Chinesen „wollen nicht weniger frei oder weniger selbstbestimmt sein. Es ist die Kommunistische Partei Chinas, die will, dass die Menschen in China unfrei und weniger selbstbestimmt leben.“ Auf der ganzen Welt benutzten darum Autokraten wie Xi Jinping „ein ganz bestimmtes Narrativ, um ihr unterdrückerisches Regime immer wieder zu rechtfertigen. Unsere Kultur ist eine andere, sagen sie. Die Menschenrechte seien ein westliches Konstrukt.“ Jensen hielt dagegen: „Diese Proteste, übrigens genau auch wie die Proteste in Iran, entlarven aber diese Erzählung mehr denn je als große, als mutwillige, als menschenverachtende Lüge.“
Zwar habe die KP in China die chinesische Zivilgesellschaft systematisch zerstört, so Jensen, „aber die bürgerliche Haltung in jedem einzelnen Chinesen, in jeder einzelnen Chinesin, an die kommt die Kommunistische Partei nicht heran“. Was wir in den letzten Tagen in China sehen, interpretierte sie, „das sind aus meiner Wahrnehmung nicht unbedingt nur die Proteste gegen die drakonische Zero-Covid-Politik von Präsident Xi. Es geht da um mehr. Denn die Menschen rufen ‚nieder mit Xi Jinping!‘ Sie rufen ‚Nieder mit der Kommunistischen Partei‘! (…) Sie riskieren dafür ihre Freiheit.“ Denn, so postulierte Jensen: „In China erfasst jede Kamera Dein Gesicht wenn du protestieren gehst. Und anschließend ruft die Kommunistische Partei bei dir zuhause an und droht dir, deiner Familie, deinen Freunden ganz unverhohlen mit Konsequenzen. Und wenn du nicht verprügelt wirst oder ins Gefängnis gesteckt wirst, dann bekommst du vielleicht keine eigene Wohnung, dann verlierst du den Anspruch auf deinen Job, auf Kinderbetreuung, weil das Sozialkredit-System, weil das System es so will.“ Der Druck sei also immens. Folglich müsse es den Menschen in China ernst sein. „Und wenn wir jetzt nicht mehr so viel darüber hören wie noch am Wochenende, über die Proteste, dann liegt das vor allen Dingen auch daran, dass der Überwachungsapparat, dass der Zensurapparat noch stärker ins Laufen gekommen ist und wirkt.“ Deshalb, sagte Jensen, sei internationaler Journalismus, deshalb sei auch die Debatte Im Bundestag so elementar. Deshalb habe die Koalition diese aktuelle Stunde auf die Tagesordnung gesetzt. Um „ein Zeichen an China zu senden, dass wir Euch sehen, dass wir wissen, dass es Euch ernst ist und dass diese Proteste nicht klein bleiben werden.“ Das wisse auch die Kommunistische Partei. „Deshalb fährt sie ja alles auf, was der Unterdrückungsapparat zu bieten hat. Und wir müssen uns hier darüber verständigen, was wir mit weiteren Eskalationen tun. Wie gehen wir damit um?“ fragte Jensen.
Kommentar: Jensen, die so wunderbar die Narrative unterdrückerischer Regime entlarvt, verliert sich letztlich selbst in den Gegen-Narrativen, derart hagelt es von Stichworten wie Unterdrückungs-, Überwachungs- oder Zensurapparat, von Autokratie und drakonischer Politik. Nur zu gut scheint die FDP-Frau zu wissen, was Chinesen und Chinesinnen wollen, und das, obwohl sie annimmt, dass die KP die Zivilgesellschaft in China bereits zerstört habe. Auch scheint Frau Jensen aus eigener Erfahrung zu wissen, was einem in China droht, wenn sie sagt: „Und anschließend ruft die Kommunistische Partei bei dir zuhause an“. Erstaunlich ist auch ihre Begründung, weshalb die Koalition eigens die aktuelle Stunde zu China auf die Tagesordnung setzte, nämlich damit die Proteste nicht klein bleiben. Jensen scheint zu glauben, unmittelbar auf die Protestierenden und die Politik der KP in China einwirken zu können. Bequem aus Berlin Mitte. Aus dem deutschen Bundestag. Wenn doch nur alles im Leben so einfach wäre.
11. Alexander Radwan (CDU/CSU)
„Meine Damen und Herren, jeder Redner, so auch ich, betont die Unterstützung der Protestierenden in China. Und die nehmen zu, ja, (…) aber unabhängig davon sollten wir auch wissen, dass die Thematik, wie wir sie hier vortragen, natürlich mehr oder weniger zu Propagandazwecken dort genutzt werden. Dass das alles von außerhalb gesteuert wird. Und darum konzentriere ich mich jetzt auf den zweiten Teil dieser aktuellen Stunde, die Chinapolitik.“ So begann Alexander Radwan seinen Beitrag.
Die Entwicklungen der Proteste in China seien dynamisch und so könne es auch eine neue außenpolitische Dynamik geben. „Wir wissen“, so Radwan, „wie Xi Jinping sich geäußert hat, wie er sich selber positioniert hat in seinen Reden. Darum müssen wir in unserer Chinapolitik das Undenkbare denken, eine Dynamik kann jederzeit auftreten. Und darum teile ich es, dass Diversifizieren wichtig ist. Diversifizieren heißt gleichzeitig, keinen Bruch vorzunehmen. Ansonsten können wir die Energie- und Mobilitätswende von einem Tag auf den anderen Tag einstampfen.“ Das Risiko zu reduzieren, bedeute, Alternativen zu schaffen. Und dies bedeute wiederum, andere Partner in der Welt zu finden.
Menschenrechte und Klima, beides Kernthemen der deutschen Chinastrategie, wie geht das zusammen? fragte Radwan sinngemäß. China und die arabische Welt träfen sich demnächst zu Gesprächen. Dabei vertrete jedes dieser Länder seine Interessen. „Ich wäre dankbar“, so Radwan an die Regierungsbank, „wenn es ein Stückweit in die deutsche Außenpolitik hinein käme, dass wir unsere Interessen in der Welt vertreten müssen und nicht nur missionarisch unterwegs sind.“ Denn: „Die beste Chinapolitik (…), ist ein starkes Deutschland in der Welt.“
Kommentar: Man wüsste gerne, was Herr Radwan weggelassen hat. So jedenfalls ist zu China wenig gesagt. Man unterstützt die Proteste, man weiß ja wie Xi Jinping sich in seinen Reden positioniert hat. Und zur Chinastrategie bleibt in der Essenz der Aufruf, als starkes Deutschland China weniger missionarisch, dafür mit mehr Gewicht auf der Vertretung eigener Interessen entgegen zu treten. Das ist im Prinzip nicht dumm, aber hier auch ein billiger Allgemeinplatz.
12. Frank Schwabe (SPD)
„Bei allem Schrecklichen, was wir gerade in der Welt erleben, gibt es aber eben auch Hoffnungsschimmer, mit denen man vielleicht gar nicht gerechnet hat“, sagt Frank Schwabe von der SPD und meint damit die Proteste in China. Die Lage für Menschenrechte, Demokratie und Freiheit habe sich in vielen Ländern der Welt verschlechtert. Dennoch habe man nun diese Entwicklungen in China, im Iran, zuvor auch in Belarus und einigen nordafrikanischen Staaten. Das bedeutete für Schwabe: „Es gibt diesen Willen zur Freiheit, es gibt diesen Willen zu Menschenrechten und es ist eben nichts, was vom Westen gesteuert ist. Sondern es kommt von den Menschen selbst. Es kommt aus den Gesellschaften und es verdient unsere volle Sympathie, Respekt und unsere volle Unterstützung.“
Auch gehe es in China eben nicht nur die Corona-Maßnahmen. „Es ist eine Allmachtsphantasie“, sagte Schwalbe, „ein totalitärer Staat in China, der glaubt, alles am Ende regeln zu können und mit den Menschen machen zu können, was er will.“ In China und anderen Ländern gäbe es Repression nach innen, aber immer mehr auch Aggression nach außen, beobachtete Schwalbe. „Das war lange bei China anders, aber das ist mittlerweile leider eben auch so. Und deswegen ist es richtig, dass wir die Chinapolitik gemeinsam neu justieren“.
China verletze Menschenrechte „in epochaler und multipler Art und Weise“. Und „es ist falsch, eine Entwicklungspolitik, die Entwicklung eines Landes gegen Menschenrechte in Stellung zu bringen. Es ist falsch, Werte als westliche Werte zu definieren. Weil diejenigen, die dort auf der Straße stehen, diejenigen Chinesinnen und Chinesen, die dort protestieren, die meinen genau die Menschenrechte die universellen Menschenrechte, die wir hier (jedenfalls die meisten von uns) auch meinen“, sagte Schwabe.
„Wichtig ist im Umgang mit China – und es ist bei allen Problemen, die wir sonst noch haben, vermutlich der schwierigste Partner in der Welt – wichtig ist, dass wir in der Tat einen unverstellten und klaren Blick auf die Lage haben. Dass wir eine klare Unterstützung geben. Und das sollten wir jedenfalls in der Breite des Hauses geben für die Freiheitsliebenden in China. Dass wir keinen Handel abbrechen wollen. Aber wir wollen in der Tat diversifizieren, und wir wollen, dass menschenrechtliche Regeln zum Beispiel im Rahmen von Lieferkettengesetzen angewendet werden in den Handelsbeziehungen zu China.“ Und wir brauchen, meinte Schwalbe, „einen selbstbewussten Umgang mit universellen Menschenrechten“. Denn „… es gibt sie eben, diese Menschen, die sich nach Freiheit und Menschenrechten sehnen, und in China sehen wir sie jetzt eben auch und das verdient unseren vollen Respekt und unsere volle Unterstützung.“
Kommentar: Auch Frank Schwalbe ist sich sicher, dass es den Protestierenden in China um Freiheit und Menschenrechte geht. Corona ist für ihn nur der Tropfen, der in China das Fass zum Überlaufen brachte. Die Entwicklungen in China, im Iran, in Belarus, Russland oder in Nordafrika zeigen für ihn alle das gleiche. Kurz: Er macht es sich sehr einfach. Es gibt für ihn nur einen Blick auf die Ereignisse. Den Blick der anderen gibt es nicht oder er hat keine Berechtigung.
13. Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen)
„Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Zeichen des Protestes genügt in China heute mittlerweile ein weißes Blatt Papier. Mehr gibt es nicht zu sagen.“, sprach Agnieszka Brugger und hatte dann doch noch etwas zu sagen.
„Wir erleben dieser Tage eine sehr mutige, beeindruckende Bewegung. (…) Die Größte seit den Protesten 1989 im Land, die im Tiananmen-Massaker blutig niedergeschlagen wurden. Wie 1989, oder auch bei der Demokratiebewegung in Hong Kong, bei den krassen Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren, in Tibet. Ja, und auch von dieser Debatte sollte die Botschaft an die Menschen dort ausgehen: Wir haben Euch nicht vergessen!“ sagte Brugger.
Sie beklagte, dass China wieder nur eine Antwort gekannt habe: Menschenrechtsverletzungen, massive Polizeipräsenz, Festnahmen und Einschüchterung, Zensur und Unterdrückung.
Wenn auch der Brand in Xinjiang der Auslöser der Proteste war, so war sich Brugger doch sicher: Es gehe den Protestierenden nicht nur um eine unverhältnismäßige Lockdown-Politik. „Die Bürgerinnen in China haben gespürt, dass unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung die chinesische Führung ihre Möglichkeiten zur Kontrolle bis in den privatesten Bereich noch weiter ausgebaut hat“, so Brugger.
Außerdem sei es „die Unzufriedenheit über die wirtschaftlichen Probleme, die Jugendarbeitslosigkeit, über die Immobilien- und Bankenkrise“, die sich in den Protesten Luft mache. Es sei „der Wunsch nach Freiheit, nach Offenheit, den die Menschen aus ihren Herzen und Köpfen auf die Straße tragen. Und diese Sehnsucht, die verstehen wir, die sehn wir und die unterstützen wir“, sagte Brugger.
Viele Besserwisser hätten vorhergesagt, dass autokratische Regime in der Pandemie handlungsfähiger seien, sagte die Grünen-Politikerin. Denen könne man nur sagen: „Sie haben sich getäuscht.“
Brugger weiter: „Nicht erst die aktuellen Proteste in China machen deutlich: Regime, die ihren Bürgerinnen Menschenrechte und Freiheit verwehren, sind nur vermeintlich stabile. Autokratien sind eben nicht besser geeignet, um Lösungen zu finden“. Wie viele Autokratien handele China aber nicht nur innenpolitisch zunehmend äußerst repressiv, „auch in der Außenpolitik kennt die Kommunistische Partei vor allem eine Richtung. Die militärischen Drohungen gegenüber den Menschen in Taiwan werden immer aggressiver. Die Lage im Südchinesischen Meer wird schwieriger und gefährlicher. Wir haben es in den letzten Jahren mehr als deutlich erlebt, ob bei der Klimakrise, der Pandemie, den zahlreichen Kriegen: Es betrifft auch unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unseren Alltag, wenn die regelbasierte internationale Ordnung und ihr Grundwerte verletzt werden. Und auch deshalb dürfen uns die steigenden Sorgen der Menschen in Taiwan nicht egal sein.“
Dennoch sollte „unsere außenpolitische Antwort auf die komplizierte Situation im Indopazifik“ nicht eine des Gegeneinander sein. Stattdessen solle das Miteinander und die Zusammenarbeit mit Staaten wie Japan, wie Australien, wie Neuseeland und den vielen Partnerinnen und Partnern in Südostasien gestärkt werden. „Auch das wird die Chinastrategie der Bundesregierung, die Annalena Baerbock gerade erstellt, beschreiben, genauso wie sie Schluss machen wird mit einem weiter so der Vergangenheit. Sie wird die Grundlage bilden für eine Chinapolitik, die Werte und Interessen nicht gegeneinander ausspielt, sondern in der sie Hand in Hand zusammenlaufen“, sagte Brugger
Kommentar: Ob es als Antwort auf die in der Tat komplizierte Situation im Indopazifik reicht, sich mit Japan, Australien oder Neuseeland zu verbünden? Eine Chinastrategie ist das jedenfalls noch nicht. Denn es lässt weiter die Frage offen, wie wir uns China gegenüber verhalten: Werte und Interessen Hand in Hand? Man darf gespannt sein, wie die Bundesregierung das in China anstellen will. Frau Brugger gibt darauf keine Antwort. Muss sie ja auch nicht.