Ein neues Wort wabert seit Wochen durch die politische und wirtschaftliche Diskussion: Decoupling. Auf deutsch: Abkoppeln. Seinen Ursprung hat Decoupling in den USA, dem Land des America-First-Präsidenten Donald Trump. Schon weit vor Corona-Zeiten haben er und vor allem seine soufflierenden Wirtschaftsberater Larry Kudlow und Peter Navarro gefordert, dass sich amerikanische Unternehmen aus China zurückziehen sollen und stattdessen ihre Fabriken in den USA (wieder-)aufbauen sollen. Diese lange Zeit nur rein amerikanische Diskussion hat durch die Corona-Krise nun auch andere Länder erfasst: Japan, Indien, Australien und – abgeschwächt – auch Europa.
Weil in diesen pandemischen Zeiten offenbar wurde, dass ein Großteil unserer medizinischen Schutzkleidung und Vorprodukte für die Pharmaindustrie aus China (und Indien) kommen, werden plötzlich von vielen Staaten die gesamten Wirtschaftsbeziehungen mit China in Frage gestellt. Sind wir zu abhängig von China? fragen sich viele Politiker in aller Öffentlichkeit, während die Manager diese Frage – wenn überhaupt – nur in Strategiemeetings diskutieren. Entsprechend unterschiedlich fallen die Antworten aus. Viele Politiker fordern – Vorbild USA – eine Heimkehr ganzer Branchen oder ködern China-flüchtige Unternehmen mit Incentives. Japans Regierung spendiert 2,3 Milliarden Dollar, damit japanische Unternehmen aus China zurück auf die Insel kommen. Einige indische Bundesstaaten bieten Firmen, die China den Rücken kehren, günstiges Land an. Und auch in Australien – dessen Exporte zu einem Drittel nach China gehen – wird heftig diskutiert, wie man sich von China unabhängiger machen kann.
Diese plötzliche Decoupling-Diskussion hat nicht nur die wirtschaftliche Dimension, sich unabhängiger von China zu machen. Nein, sie hat auch eine geopolitische: Durch den Abzug der ausländischen Firmen soll Chinas Wirtschaft und damit auch das System geschwächt werden. Für den ehemaligen Außenminister Siegmar Gabriel ist klar: „Decoupling wird zum neuen Schlachtruf des Kalten Krieges.“
In Deutschland ist dieser Ruf noch zaghaft. Am lautesten tönte Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner in einem Welt-Artikel, wo er schrieb: Wir müssen uns entscheiden – China oder USA. Also den USA folgen, auch in der Frage des Decoupling.
Sollen wir jetzt hierzulande wieder Fernseher, Klamotten oder Schuhe produzieren, sollen wir Grundig, Nino (das war mal eine große deutsche Textilfirma) und Salamander wiederbeleben? Allein diese polemisch-rhetorische Frage zeigt, wie abwegig diese Idee des Decoupling ist.
Es wäre ein Rückfall ins 18. Jahrhundert. Und zwar in die Zeit vor Adam Smith und später David Ricardo. Diese beiden britischen Wirtschaftsweisen waren die theoretischen Wegbereiter des Handels und – wenn man so will – der Globalisierung. Ricardos These: Handel bringt Nutzen für alle, Abschottung hingegen wird teuer.
Ein Decoupling hätte zwei fatale ökonomische Konsequenzen. Viele Produkte, die wir wieder selber herstellen müssten, würden sich drastisch verteuern. Und zweitens: Die heimkehrenden Firmen würden den chinesischen Markt als Absatzmarkt verlieren. Die Folge: „Am Ende dieser Entkoppelung stehen vermutlich ein paar Millionen Menschen mehr als Arbeitslose in Deutschland und Europa auf der Straße“, schreibt Siegmar Gabriel.
Die Unternehmen – ob aus Europa, Japan und auch den USA – wollen allerdings diesen Markt nicht aufgeben und stehen deshalb diesen Decoupling-Forderungen kritisch gegenüber. Scott Kennedy und Shinin Tang vom Thinktank CSIS in Washington, schreiben: „It appears that the vast majority of companies from the United States – and the broader West – are not heeding this call. Instead, there is a growing gap – or decoupling – between Trump administration aims and Western business behavior.“ Aktuelle Umfragen der Amerikanischen und Europäischen Handelskammer bestätigen diese Aussage. Nur elf Prozent der europäischen Firmen in China überlegen, ihre Produktion eventuell zu verlagern, bei den amerikanischen Firmen sind es gar nur neun Prozent.
In China sieht man deshalb diese westliche Decoupling-Diskussion relativ gelassen. Zhang Jun, Dean der Wirtschaftsfakultät an der Fudan Universität in Shanghai, schreibt in der South China Morning Post: „It is therefore naive to believe that forced technological decoupling, trade sanctions or forced changes to global supply chains will end China’s economic expansion. If critics are too short-sighted to see this, it will be their loss.“
Info: Im Juni sind folgende interessante Artikel und Studien zum Thema Decoupling erschienen: –
- Alex Capri: Strategic US-China Decoupling in the tech sector – Why and how it`s happening, Hinrich Foundation, 27 Seiten
- Henry Farrell und Abraham Newman: The Folly of Decoupling From China, Foreign Affairs, 3. Juni;
- Siegmar Gabriel: Das große Decoupling, NZZ Asien, 5. Juni
- Julian Gerwitz: The Chinese Reasserssment of Interdependence, China Leadership Monitor, Issue 64, 1. Juni;
- Trinh Nguyan: Is Vietnam Eating into China`s Share of Manufacturing?, Carnegie Endowment, 18. Juni;
- Scott Kennedy und Shining Tan: Decoupling Between Washington and Western Industries, CSIS Blog, 10. Juni.
- Zhang Jun: Why China`s economy will continue to grow and attract investment, South China Morning Post, 27 Juni