WIRTSCHAFT I Der chinesische Automarkt ist gekippt

Die beiden Amerikaner Michael Dunne und Bill Russo gehören für mich zu den besten ausländischen Kennern des chinesischen Automarktes. Beide arbeiteten einst für US-Autokonzerne in China – Dunne für General Motors (GM), Russo für Chrysler. Dunne lebt inzwischen als Berater im kalifornischen San Diego, Russo immer noch mit Frau und jungem Kind in Shanghai. Beide schreiben regelmäßig über die Entwicklungen im größten Automarkt der Welt.

Anfang August veröffentliche Dunne in seinem The Dunne Insights Newsletter eine ernüchternde, ja eine brutale Einschätzung des chinesischen Automarktes aus westlicher Sicht: „China Is Done with Global Carmakers: Thanks for Coming“. Ziemlich frei übersetzt lautet die Botschaft an die Adresse von GM, VW und Co.: „Schön, dass ihr da wart, aber jetzt sind wir dran.“ Das Spiel ist aus, schreibt Dunne, die Heimmannschaft habe gewonnen. Die Verlierer sitzen in Europa, den USA, aber auch in Japan und Korea. Dunne konstatiert „ a sudden and catastrophic collapse of global automakers in China.” Wer das nicht glauben mag oder übertrieben findet, dem präsentiert Dunne eine Grafik, die seine Einschätzung untermauert. Zwischen 2020 und 2024 haben die chinesischen Autobauer ihren Marktanteil von 43 auf 62 Prozent gesteigert. Alle anderen haben verloren: Japan (von 16 auf 12 Prozent), Deutschland (von 19 auf 16), USA (von 12 auf sieben), Südkorea (von sieben auf zwei) und Frankreich (von drei auf 0,4).

Dunne zitiert einen ehemaligen GM-Kollegen, der vor zehn Jahren gesagt hat: „China is our forever profit machine.“ Doch die Zeiten sind längst vorbei, die einstige Profitmaschine stottert. Allein dieses Jahr sind bei GM in China bereits über 200 Millionen Dollar Verlust aufgelaufen. Beim Konkurrenten Ford sieht es noch schlimmer aus. Seit 2020 hat Ford über fünf Milliarden Dollar Verlust in China angehäuft. Dunne zitiert Ford-CEO Jim Farley: „We’ve never seen competition like this before.” Auch der deutsche Volkswagen-Konzern ist betroffen. Er war lange Zeit unangefochtener Marktführer in China und hat sich dort – man kann es nicht anders ausdrücken – dumm und dämlich verdient. Ohne China gäbe es VW in der heutigen Form nicht. Doch nun erlebt Volkswagen die Schattenseiten der Abhängigkeit. Der Absatz in China ging von 4 Millionen (2017) auf geschätzte 2,5 Millionen in diesem Jahr zurück. Und der Konzern ist in einer veritablen Krise, wie die Ereignisse der vergangenen Tage rund um Wolfsburg zeigen: Ankündigung von Werksschließungen und betriebsbedingten Kündigungen hierzulande sowie entsprechende Proteste der Belegschaft.  

Parallel zum Niedergang der westlichen Konzerne erfolgte der Aufstieg der chinesischen Autofirmen. Sie reüssierten vor allem in einem Segment, das die westlichen Konkurrenten sträflich vernachlässigt haben, nämlich bei den Elektroautos oder – wie es im chinesischen Jargon etwas erweitert heißt – den New Energy Vehicles (NEV). Zu dieser Entwicklung liefert die August-Ausgabe des Automobility-Reports von Bill Russo eindrucksvolle Zahlen. Zwei Tabellen zeigen besonders deutlich, wie sich Chinas Automarkt verändert hat. Unter den zehn führenden Anbietern von Elektroautos sind neun chinesische Unternehmen und nur ein ausländisches – nämlich Tesla. Damit man sich die Namen schon mal merken kann, hier die neun chinesischen Unternehmen (von Platz zehn aufsteigend): Great Wall Motors, Chery, GAC, Aito, Li Auto, Chang’an, SAIC, Geely und BYD. Letzteres ist mit einem Marktanteil von 34,1 Prozent mit weitem Abstand der Marktführer. Deshalb verwundert es auch nicht, dass unter den zehn am meisten verkauften Modellen allein sieben von BYD sind. Kein Unternehmen verkörpert den Aufstieg Chinas zur globalen Automacht mehr als der Konzern aus Shenzhen, der einst als Batteriehersteller für Handys startete. BYD beschränkt seine Expansion nicht nur auf den chinesischen Markt, sondern investiert massiv in Fabriken im Ausland. Bislang sind Pläne für Mexiko, Thailand, Brasilien, Indonesien, Usbekistan und Ungarn bekannt. Ziel sei es, die Hälfte des Absatzes im Ausland zu erzielen, sagte kürzlich Stella Li, Executive Vice President von BYD. 

Kippt nach dem chinesischen Markt mittelfristig auch der globale Markt zugunsten der Chinesen?

Info:

Hier The Dunne Insights Newsletter: https://newsletter.dunneinsights.com/p/china-is-done-with-global-carmakers

Und hier die August-Ausgabe des Automobility-Report von Bill Russo: https://coats-share-oiq.craft.me/74mQtKZq8hxOMG

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