Es geht um 40 Kisten voll mit Tagebüchern, Fotos, Schriftstücken und anderen Erinnerungen. Sie lagern im Hoover Institute an der Stanford University in Kalifornien. Geschrieben und gesammelt hat sie Li Rui, der von 1917 bis 2019 lebte. Er schloss sich als junger Idealist der Kommunistischen Partei Chinas an, wurde 1958 persönlicher Sekretär Mao Zedongs, in der Kulturrevolution verfolgt, 1976 rehabilitiert und stieg danach in der Parteihierarchie wieder auf. Er zählte in der Folgezeit zu den wichtigen Sprechern des liberalen und reformorientierten Flügels der KP. Li hatte also viel zu erzählen, darunter sicher einige Interna über das Innenleben der KP. „It`s hard to overstate this significance“, sagt Joseph Torigian vom Hoover Institution gegenüber The Guardian. Der niederländische Historiker und Sinologe Frank Dikötter, der mehrere Bücher über Mao geschrieben hat, nennt Lis Erinnerungen gar „a monument to history“. Wegen dieser Bedeutung und Brisanz des Nachlasses von Li Rui tobt seit Jahren ein heftiger Streit um sein Vermächtnis. Er beschäftigt Gerichte in China und den USA. Derzeit wird wieder mal im kalifornischen Oakland verhandelt.
Lis Witwe Zhang Yuzhen (94) versucht zu verhindern, dass die Stanford University im Besitz der 40 Kisten bleibt und möglicherweise Passagen aus den Papieren veröffentlicht. An die Uni übergeben wurden die Kisten übrigens von Lis Tochter Li Nanyang, die in den USA lebt. Sie hat die Papiere transkribiert und katalogisiert. Sie sagt auch, dass es der Wunsch ihres Vaters gewesen sei, dass der Nachlass in den Besitz der Stanford University gelangen soll. Das zweifelt die Witwe an. Sie reklamiert für sich, dass sie die Besitzerin der Papiere sei. Deshalb klagte sie bereits 2019 vor einem Gericht in Beijing und bekam recht. Nur: Chinesisches Recht gilt nun mal nicht in den USA. Deshalb wird der Rechtsstreit in den USA fortgesetzt. Schließlich will die Stanford University Klarheit haben, ob sie rechtmäßige Besitzerin des intellektuellen Nachlasses von Li Rui ist. Die Anwälte der Witwe argumentierten, dass der Nachlass eine private Angelegenheit und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Für die Vertreter der Gegenseite, der Stanford University, ist das nur ein vorgeschobenes Argument. Für sie steckt der chinesische Staat dahinter: „By all indications the PRC is running the litigation behind the scenes“ – so werden die Stanford-Anwälte in The Guardian zitiert. Der ehemalige Journalist Ian Johnson (jetzt beim Council on Foreign Relations), der in seinem kürzlich erschienen Buch „Sparks: China’s Underground Historians and Their Battle for the Future“ auch über Li Rui geschrieben hat, ist klar, dass die KP kein Interesse an einer Veröffentlichung von Lius Erzählungen haben kann: „It’s simply about control. The party can’t allow competing narratives of what happened in the past.”