GESELLSCHAFT I China duldet keine Adoptionen mehr

Es ist schon einige Jahre her, dass ich in Guangzhou im berühmten White Swan Hotel übernachtet habe. Die Nobelherberge, die das erste Joint-Venture-Hotel in der Stadt war, liegt wunderschön auf einer Insel am Perlfluss. Aber nicht nur deswegen ist mir das Hotel in bester Erinnerung geblieben. Nein, ich habe in diesem Hotel viele glückliche westliche Ehepaare mit einem chinesischen Kleinkind gesehen. Das White Swan Hotel war – wie auch das Poly Plaza Hotel in Beijing – der Ort, wo Adoptiveltern aus aller Welt ihr adoptiertes Kind zum ersten Mal in die Arme nehmen konnten. Meist waren es amerikanische Eltern und meist waren es chinesische Mädchen.

Doch diese Begegnungen wird es künftig nicht mehr geben. Am 5. September verkündete die Sprecherin des Außenministeriums Mao Ning bei ihrer alltäglichen Routine-Pressekonferenz, dass ab sofort keine Adoptionen durch Ausländer mehr erlaubt seien. Begründet hat sie den Beschluss nicht. Lapidar sagte sie nur: „Wir werden keine Fälle mehr bearbeiten, die nicht unter eine Ausnahmeklausel fallen.“

Damit endet abrupt eine seltsame west-östliche Menschenzusammenführung, die vor rund 4o Jahren begonnen hat. Bereits 1985 wurden die ersten chinesischen Kleinkinder durch ausländische Familien adoptiert. 1992 wurde der Prozess durch ein Gesetz formalisiert. Es war die Zeit der Ein-Kind-Politik. Menschen – das klingt jetzt brutal – gab es im Überfluss. Da konnte man durchaus ein paar abgeben. Weil ein Junge mehr galt als ein Mädchen, waren besonders viele Mädchen zur Adoption frei gegeben. So waren 86 Prozent der zwischen 1999 und 2016 in den USA adoptierten chinesischen Kinder Mädchen. Überhaupt die USA: Obwohl von chinesischer Seite keine Zahlen genannt werden, gelten die USA als das Land, in dem die meisten Kinder aus China adoptiert wurden. Exakt 82 674 sollen es bislang gewesen sein, rechnet die Nachrichtenagentur AFP vor.

Die Zahlen gingen aber schon seit den frühen 2010er Jahren zurück. Weil es dem Land wirtschaftlich immer besser ging, waren weniger Eltern gezwungen, ihre Kinder notgedrungen abzugeben. Zudem gingen Chinas Behörden massiver gegen illegale Adoptionen vor, die zunehmend bandenmäßig organisiert waren. Und außerdem hat China inzwischen ein anderes Bevölkerungsproblem – statt zu viel hat das Land inzwischen zu wenig Menschen. Schon seit Beginn der Corona-Epidemie wurden keine Adoptionen mehr genehmigt, was man mit gesundheitlichen Maßnahmen begründete. Aber nun folgte das endgültige Aus. Das hat auch die amerikanischen Behörden überrascht. Die US-Botschaft in Beijing ist beim Ministry of Civil Affairs vorstellig geworden. Sie will wissen, was mit den noch laufenden Adoptionsverfahren geschieht. Werden sie noch bearbeitet oder nicht? Im Moment fährt Beijing die harte Linie und sagt nein. Aber man wird sich wohl hinter verschlossenen Türen auf einen Kompromiss einigen, um die wartenden Pflegeeltern nicht zu enttäuschen.

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