Vor 30 Jahren – genauer im April 1994 – begann eine neue Zeitrechnung im chinesischen Fußball. Mit der Jia A League wurde zum ersten Mal eine nationale Top-Liga etabliert. Heute heißt sie China Super League (CSL) und feiert – logisch – ihren 30. Geburtstag. Mit 30 ist man in der Fußballersprache im besten Fußball-Alter. Das kann man von der CSL nicht behaupten.
Tobias Ross hat anlässlich des Geburtstags im Online-Magazin Sixth Tone eine Bilanz der chinesischen Elite-Liga gezogen. Ross ist einer der besten Kenner des chinesischen Fußballs. Er hat an der University of Nottingham zu diesem Thema promoviert. Seit November 2023 ist er bei RB Leipzig Manager in der Internationalen Abteilung.
Ross teilt Chinas erste Liga in drei Perioden ein: die erste zwischen 1994 und 2010, die zweite in den 2010er Jahren und die dritte läuft seit 2020. Vor 1994 war der Spielbetrieb staatlich geregelt. Die lokalen Sportbehörden hatten ihre Trainingscenter, in denen sie sehr früh Talente identifizierten. Die Spieler wurden wie Angestellte in einem Staatsunternehmen bezahlt. Einen Transfermarkt gab es nicht. Das änderte sich 1994 mit der Gründung der Jia-A League. Privates Kapital wurde erlaubt. Als einer der Ersten machte davon der Mischkonzern Wanda des Multimilliardärs Gebrauch. Der Club Dalian Wanda FC gewann zwischen 1994 und 2005 achtmal den Titel. Aber neben den privaten Investoren waren nach wie vor Staatsunternehmen als Geldgeber für Vereine aktiv. Doch beiden Gruppen fehlte es an Professionalität. Sie schielten meist nur auf kurzfristige Erfolge, an langfristigen strukturellen Änderungen – wie zum Beispiel Jugendakademien – hatten sie kein Interesse. Begleitet wurde dieses Mismanagement von Schulden, Wettskandalen und Korruption.
2012 wurde ein Neuanfang versucht. Zum ersten Mal war die Mehrheit der Clubs in privater Hand. Aber besser wurde es nicht. „The age-old problem of short-term behavior” blieb, schreibt Ross. Vielen Unternehmen sei es nicht um das Fußballgeschäft an sich gegangen, sie wollten vielmehr durch das Engagement vor allem ihre Beziehungen zu den Behörden verbessern. Deshalb engagierten sich vor allem Immobilienkonzerne. Viele Vereine kauften teure – besser: überteuerte – Stars aus dem Ausland. Die Schulden stiegen. 2017 mussten der Verband und die Regierung regulierend eingreifen. Das Interesse privater Investoren ließ nach. Sie stiegen aus oder mussten aussteigen, weil sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten oder gar in Konkurs geraten waren. Bestes bzw. schlechtestes Beispiel war Guangzhou Evergrande. Siebenmal in Folge war das Team zwischen 2011 und 2017 hintereinander Meister. Doch dann ging der Immobilienkonzern Evergrande in die Insolvenz und der Club spielt als Guangzhou FC inzwischen in der zweiten Liga.
Nach all diesen Turbulenzen wurde 2020 mal wieder ein Neuanfang in der China Super League (CSL) gestartet. Diesmal wieder mit mehr staatlicher Unterstützung. Nach Angaben von Ross sind 9 der 16 CSL-Clubs „fully or partly state-owned”. Der zunehmende Staatseinfluss zeige sich auch daran, dass in diesem Jahr der Titelsponsor der Liga zum ersten Mal ein Staatsunternehmen ist– der Mineralwasserproduzent C’estbon. Außerdem liegen die TV-Rechte bei Migu Sports, einer Tochter des staatlichen Telekom-Konzerns China Mobile.
Chinas Probleme im Vereinsfußball spiegeln sich wider in der Erfolgslosigkeit des Nationalteams. Nur mit Müh und Not gelang diesem der Sprung in die zweite Runde der Qualifikation zur Fußball-WM 2026, wo sie – da leg ich mich fest – wieder nicht dabei sein werden.
Info:
Hier der Artikel von Tobias Ross in Sixth Tone: https://www.sixthtone.com/news/1015274
Ebenfalls zu empfehlen ein Video der South China Morning Post in deren Serie „SCMP Explains“. Thomas Yau versucht sich in der Beantwortung der Frage: “What’s wrong with professional football in China?“ https://www.scmp.com/news/article/3271332/whats-wrong-professional-football-china