Normalerweise treffen wir uns im Lao Xiang, einem China-Restaurant in Prenzlauer Berg. Doch diesmal hat Volker Häring das Lucky Star in der Friedrichstraße vorgeschlagen. An diesem Restaurant bin ich schon hundertmal vorbeigelaufen, aber aus unerfindlichen Gründen nie reingegangen. Christian Y. Schmidt sitzt schon da, als ich dort auftauche. Er breitet auf dem kleinen Bistrotisch eine riesige China Landkarte auf. Dort ist mit einem schwarzen Filzstift die Strecke eingezeichnet, die er und Volker Häring mit dem Fahrrad absolviert haben – von Ruijin nach Yan’an. Start- und Zielort des Langen Marsches, den Mao Zedong in den 30er Jahren mit seinen getreuen Genossen unternahm. Knapp 7000 Kilometer sind die beiden in zwei großen Etappen abgefahren – eine im Herbst vergangenen Jahres, die andere in diesem Frühjahr.
Volker Häring ist seit dem 31. Mai zurück, Christian Y. Schmidt seit dem 6. Juni. Ich frage ganz simpel: „Wie geht´s?“ Häring: „Ich bin noch nicht angekommen. Ich tue mich schwer mit dem Alltag in Berlin.“ Er schwingt sich einmal am Tag aufs Fahrrad und fährt einfach durch die Gegend. So wie er es in den vergangenen Monaten jeden Tag in China getan hat. Nur diesmal ohne Ziel. Auch Schmidt ist noch in der Phase der Eingewöhnung. Sie müssen die vielen Eindrücke, die sie in diesen Monaten gewonnen haben, erst noch verarbeiten. Schmidt, der eher Unsportliche der beiden Mao-Nachfahrer, reflektierend: „Manchmal frage ich mich, wie ich das alles geschafft habe.“
Schmidt hat seine Erlebnisse und Gedanken in sein Handy getippt, Häring in sein Laptop, in dem auch Tausende von Fotos lagern. Am frischesten ist natürlich noch die Erinnerung an die Zielankunft ihres langen Marsches mit dem Pedelec. Am 15. Mai kamen sie in Wuqi an. Dort gab es keinen großen Bahnhof. Schmidt: „Die Ankunft war eher enttäuschend. Da ist man fast 7000 Kilometer gefahren – und dann ist keiner da.“ Ein Foto auf der Brücke in Wuqi, danach ein Abendessen mit Bier. Das war´s. „So richtig gefreut haben wir uns eigentlich nicht. Wir waren schlicht fertig.“ Die letzten Tage waren nochmals anstrengend, weil von Pannen begleitet. Der Mantel war geplatzt und von Häring notdürftig repariert. Aber das Improvisieren haben sie gelernt auf dieser Reise, die sie durch 10 Provinzen und über viele Hügel und Berge führte. Und dann fiel auch noch Härings Elektromotor aus; die letzten knapp 300 Kilometer musste er ohne Unterstützung radeln. Häring: „Auf der gesamten Strecke war es fast nie flach. Und die letzten Kilometer natürlich auch nicht.“
Der Gipfel war die Überquerung des über 4 100 Meter hohen, schneebedeckten Jiajinshan in Sichuan. Trotz der vielen bei ihnen noch unverarbeiteten Eindrücke frage ich, welche für sie wichtig waren. Häring zählt die vier essenziellen Stationen des Langen Marschs auf, die man mindestens gesehen muss: „Ruijin und Yudu zu Beginn, Zunyi, der Ort, an dem sich alles änderte, Luding mit seiner ikonischen Brücke und natürlich Yan’an zum Schluss, die Stadt, die 12 Jahre lang die Hauptstadt des Roten Chinas war, bevor es dann1949 Peking wurde.“ Schmidt erzählt begeistert von den vielen unbekannten Kreisstädten auf der Strecke: „Unglaublich beeindruckend, wie systematisch die in den letzten 15 Jahren ausgebaut wurden, vom ärmlichen Provinzkaff zu lokalen Oberzentren mit völlig neuen Wohngebieten, Parks, Leihfahrrädern und Elektrotaxis“. Allerdings spart er auch nicht mit Kritik: Manchmal führten sechs- bis achtspurige Prachtstraßen, kilometerlang in diese Provinzstädte. „Das ist dann eher am Bedarf vorbei und verbraucht sinnlos Landschaft.“
Was beide nervte, war der Umgang mit den Hotels. Manchmal wurden sie abgelehnt, weil sie Ausländer waren. Oft war das Personal bei der Ausfüllung der Online-Formulare für die Sicherheitsbehörden überfordert. Aber je länger die Reise dauerte, desto fitter wurde dabei Häring. Gelegentlich konnte der Chinesisch sprechende Häring dem überforderten Hotelpersonal sogar beim Ausfüllen helfen.
Aber allzu viel wollen die beiden über ihre abenteuerliche Reise nicht verraten. Denn der Interessierte soll ja noch ihr Buch lesen, in dem sie ihre Erlebnisse verarbeiten. Der Ullstein-Verlag hat als Abgabetermin den 1. März bestimmt. Erscheinungstermin ist dann der Frühherbst 2025, wahrscheinlich September. Nun machen sich die beiden ans Schreiben. Derzeit basteln sie an einer Struktur und der Aufteilung, wer welche Kapitel schreibt. Häring hat schon mal mit dem Schreiben angefangen. Denn im Herbst muss er wieder nach Asien aufbrechen. Er leitet zwei Reisegruppen nach Laos und Kambodscha. Es sind natürlich Fahrradreisen.
Info:
Auf dem Youtube-Kanal „Soweit die Füsse radeln“ können sie die Reise der beiden bequem im Sessel verfolgen: https://www.youtube.com/@SoweitdieFusseradeln