Eine interessante Diskussion findet derzeit in den USA statt. Es geht um die Frage: Wie mit China, der anderen Supermacht, umgehen? Man könnte meinen, das sei eine akademische Debatte, zumal fast alle Diskutanten einen wissenschaftlichen Background haben. Aber nein, es ist auch ein hochpolitischer Diskurs, zumal die meisten Autoren auch eine politische Vergangenheit haben. Die Diskussion zeigt, dass es trotz des viel beschworenen und beschriebenen bipartisan consensus in Sachen China durchaus Unterschiede in der Bewertung von China und der Strategie gegenüber China gibt.
Auslöser der Debatte war ein Beitrag von Matt Pottinger und Mike Gallagher in der Mai/Juni-Ausgabe von Foreign Affairs. Unter dem Titel „No Substitute for Victory“ forderten die beiden Republikaner, dass „America´s Competition with China must be won, not managed”. Pottinger war unter Trump stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater. Er könnte auch in einer möglichen neuen Trump-Regierung eine wichtige Rolle spielen. Er und Gallagher fordern eine konfrontative Politik gegenüber China und umschreiben diese mit den drei Begriffen „Rearm, Reduce und Recruit“. Rearm bedeutet eine militärische Aufrüstung. Statt drei sollten vier bis fünf Prozent des BSP fürs Militär ausgegeben werden. Mit Reduce wollen sie Chinas Aufstieg zur wirtschaftlichen und technologischen Macht durch Export und Investitionsverbote sowie Sanktionen verhindern. Und unter Recruit soll eine breite Koalition von Staaten gegen China gebildet werden. Das ist Kalte-Krieg-Rhetorik. Und die Autoren verweisen auch auf die 70er Jahre, in denen Ronald Reagan gegenüber der UdSSR als Hardliner auftrat: „Washington must adopt a similar attitude today“ gegen China.
Am 30. Mai erfolgte die Replik auf den Online-Seiten von Foreign Affairs. Gleich drei Artikel setzten sich kritisch mit der Analyse von Pottinger und Gallagher auseinander. Ihre Autoren sind Rush Doshi (Georgetown University), Jessica Chen Weiss (Cornell University) und James B. Steinberg (John Hopkins University) sowie Paul Heer (Chicago Council on Global Affairs). Rush Doshi verteidigt in seinem Beitrag “The Biden Plan” zunächst die Bidensche China-Politik. Er hält nichts davon, auf den Kollaps der KPCh zu setzen: „There is no guarantee that the end of communist rule would produce a more restrained China.” Er verweist auf Russland, das nach dem Zusammenbruch der UdSSR mit einem gewissen time-lag einen Putin produzierte. Ähnlich argumentieren Weiss/Steinberg in ihrem Beitrag „The Perils of Estrangement“. Sie schreiben: „History has shown that U.S. efforts to bring about change through pressure are as likely to consolidate authoritarian rule as to undermine it.” Eine konfrontative Politik würde auch mögliche Partner verschrecken, die kein Interesse an dem „US versus them“-Approach hätten. Sie plädieren stattdessen für Kooperation: „It is in the interest of both to reduce the risk of war and cooperate on key issues of mutual concern.” Das schließe auch gegenseitige Besuche mit ein: “US should welcome Chinese tourists, businesspeople and students.“ Paul Heer sieht in seinem Beitrag „A Possible Partner“ die Bereitschaft Chinas zur Kooperation: „Xi and the CCP are in fact interested in constructive engagement and peaceful coexistence with the US.” Heer wirft Pottinger/Gallagher eine falsche Diagnose vor. So strebe China keine globale Hegemonie an oder eine Desintegration des Westens. Im Gegenteil: Beijing habe in den vergangenen Jahrzehnten auf ein stabiles externes Umfeld gesetzt, damit es sich auf die heimischen Probleme konzentrieren konnte.
Mein Fazit nach Studium dieser Beiträge: Wie schön wäre es doch, wenn wir in Deutschland auch so einen differenzierten China-Diskurs hätten.
Info:
Hier der Artikel von Pottinger und Gallagher: https://www.foreignaffairs.com/united-states/no-substitute-victory-pottinger-gallagher
Und hier die Antworten: https://www.foreignaffairs.com/responses/what-does-america-want-china