Viele Wissenschaftler fühlen sich ganz wohl in ihrem Elfenbeinturm, in dem sie eremitenhaft vor sich hinforschen und den sie nur zu Lehrveranstaltungen verlassen. Doris Fischer (58) gehört sicher nicht zu dieser Spezies. Im Gegenteil: Die Professorin für Chinas Business and Economics an der Universität Würzburg lehrt und forscht wie jeder ordentliche Ordinarius. Aber sie engagiert sich zudem innerhalb und außerhalb ihrer Universität und beteiligt sich streitlustig an öffentlichen Debatten.
Die Sorge, dass ihre berufliche Zukunft im Elfenbeinturm enden könnte, plagte sie schon bei der Wahl des Studiums Mitte der 80er Jahre. Nachdem sie sich für die Sinologie entschieden hatte, fürchtete sie, dass sie mit diesem Fach eventuell in die theoretischen Sphären abschweifen könnte. Sie entschied deshalb folgerichtig: Ich brauche noch ein weiteres, ein der Praxis zugewandtes Fach – und wählte Betriebswirtschaftslehre. So absolvierte sie an der Uni Hamburg ein ambitioniertes Doppelstudium. Sie machte ihr Diplom in BWL, schloss die Sinologie aber nicht mit dem Magister ab – nicht aus Trägheit oder anderen niederen Motiven, sondern weil an der Uni Gießen VWL-Professor Armin Bohnet auf die Doppel-Studentin aufmerksam gemacht wurde. Bohnet baute damals Ende der 80er Jahre gerade ein Forschungsteam auf, das sich mit Chinas Wirtschaft beschäftigte. Doris Fischer passte mit ihrer Doppelqualifikation bestens dazu. Sie blieb zwei Jahre an der Uni Gießen und promovierte auch bei Bohnet in Volkswirtschaftslehre.
Danach begann eine fast 20 Jahre dauernde Odyssee durch die deutsche Forschungslandschaft, die inzwischen leider typisch ist für viele junge Wissenschaftler. Sie hangeln sich von einem befristeten Vertrag zum anderen, sie müssen sich mit Teilzeit-Stellen zufriedengeben. All das erlebte auch Doris Fischer, die während dieser Zeit an den Unis in Düsseldorf und Duisburg-Essen sowie am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn lehrte und forschte – unterbrochen durch Gastprofessuren an der Seikei Universität in Tokio und der FU Berlin. „Ich war 20 Jahre auf befristeten Verträgen,“ sagt sie, „und ich habe mich mehrfach auf Professuren beworben“ – an diversen Unis (unter anderem auch Oxford) und auch in der Wirtschaft. Ein großer Konzern hat sie eingeladen, nutzte sie drei Stunden lang zur Inhouse-Beratung, um ihr danach lapidar mitzuteilen, sie könne trotz ihrer wirtschaftswissenschaftlichen Abschlüsse angeblich „nur China“. Darüber kann sie sich noch heute echauffieren. Aber so blieb sie der Wissenschaft erhalten – und wartete auf ihre Chance. Die kam um das Jahr 2010. Die Sinologie an der Uni Würzburg hatte sich entschieden, einen Lehrstuhl China Business and Economics zu etablieren. Betreiber dieser Idee war damals Sinologie-Professor Dieter Kuhn. Unterstützung bekam er vom renommierten VWL-Kollegen Peter Bofinger. Doris Fischer bewarb sich auf diese neue Stelle – und setzte sich gegen drei männliche Bewerber durch. 2012 konnte sie loslegen. Sie sagt: „Es war ein einziger Traum: Ich hatte ziemlich hohe Gestaltungsmöglichkeit und konnte im Prinzip die Lehrinhalte festlegen.“ Heute ist der Lehrstuhl längst etabliert und anerkannt. Würzburg ist damit immer noch die einzige Universität (!), die diese interdisziplinäre Kombination aus Sinologie und Wirtschaftswissenschaften anbietet. Das erfüllt Doris Fischer zu Recht mit Stolz.
Die Aufbauarbeit in Würzburg hat sie freilich nicht davon abgehalten, sich neben der Uni weiter zu engagieren. „Service to the Community“ nennt sie das. Sie war Mitherausgeberin der berühmten Länderberichte China, die von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurden. Sie rief mit anderen im Jahr 2000 den Arbeitskreis Sozialwissenschaftliche Chinaforschung (ASC) in der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde (DGA) ins Leben, deren Vorsitzende sie zwischen 2019 und 2021 war. Sie meldet sich in den sozialen Medien – dort vor allem bei Linkedin – mit Beiträgen zu Wort. „Es ist wichtig, China-Kompetenz in die Welt zu bringen“, sagt sie, „und manchmal muss man einfach Sachen richtigstellen und gegen Fehlinformationen über China vorgehen.“
Als wäre das alles nicht genug, engagiert sich Doris Fischer seit Jahren in der Selbstverwaltung der Uni. Seit drei Jahren ist sie auch Vizepräsidentin der Uni Würzburg, zuständig für Internationalisierung. „Ich bin ich aus allen Wolken gefallen, als mich der Präsident damals anrief.“ Sie konnte natürlich nicht nein sagen. Anlässlich der soeben begonnenen zweiten Amtszeit äußerte sie bei der Zusage gegenüber dem Präsidenten aber einen Wunsch: „Einmal im Jahr für drei Wochen nach China muss drin sein.“ Die nächste Reise ist für den September geplant.