POLITIK I Die Debatte um die chinesischen Überkapazitäten

Chinas Überschüsse sind derzeit das große Thema. China subventioniert viele seiner Produkte, überschwemmt damit die Märkte und schädigt – oder im schlimmsten Falle zerstört – die Industrien in den Ländern, die Land unter melden. Das ist die gängige Argumentationskette im Westen angesichts der angeblichen Flut der vielen Elektroautos, Solarpanels, Windräder, Batterien Made in China. Macht das China absichtlich? Steckt dahinter gar eine gigantische Eroberungs-Strategie der chinesischen Führung? Diese Fragen werden derzeit in politischen und wissenschaftlichen Zirkeln heftig diskutiert. Die Fronten der Debatte sind klar: Der Westen klagt an, China wehrt ab.

Es sind vor allem die Politiker und die Verbandsvertreter der Wirtschaft, die klagen. So haben bei ihren kürzlichen China-Reisen sowohl die US-Minister Janet Yellen (Finanz) und Tony Blinken (Außen) als auch Bundeskanzler Olaf Scholz das Thema angesprochen. So sagte Yellen vor der US-Handelskammer in Guangzhou: „Besonders direkte und indirekte Unterstützung durch die chinesische Regierung führt zu einer Produktionskapazität, die deutlich die heimische Nachfrage in China und das, was der Weltmarkt vertragen kann, übersteigt.“

Für Jens Eskelund, Präsident der Europäischen Handelskammer in China (EUCCC) sind die Überkapazitäten ein „deutliches Problem“. Sein Vorgänger Jörg Wuttke äußerte sich kürzlich in der NZZ sogar noch viel drastischer: „Überkapazitäten sind seit vielen Jahren ein Schandfleck in der chinesischen Industrielandschaft.“

Auch westliche Thinktanks und Berater denken ähnlich. So schreibt Jacob Gunter (Merics): „Überkapazitäten sind Bestandteil von Chinas Wirtschaftsmodell.“ Auch die Autoren der aktuellen Rhodium-Group-Studie „Overcapacity at the Gate“ sehen in den Überkapazitäten „a systemic problem, which will set China on course for a trade confrontation with the rest of the world.” Ebenso argumentiert Jost Wübbeke vom Beratungsunternehmen Sinolytics in einem Linkedin-Beitrag (“Ten basic thoughts on overcapacity in China“): „Overcapacities are an integral part of China’s economic system.” Er stellt – ebenso wie Yellen in ihrer Rede – einen klaren Zusammenhang zwischen staatlichen Subventionen und den Überkapazitäten her: „Overcapacities are only possible with massive subsidies in production equipment.“ Im Klartext lautet der Vorwurf: Der chinesische Staat unterstütze seine Firmen, damit diese ihre Produkte günstig herstellen können, um sie dann auf dem Weltmarkt – so inzwischen die Angst einflößende Wortwahl – zu fluten oder ihn zu überschwemmen. Wie China seine Unternehmen subventioniert, versuchte das Kiel Institute für Weltwirtschaft in seiner Studie „Foul Play? On the Scale and Scope of Industrial Subsidies in China“ zu errechnen und kam dabei auf im Vergleich zum Westen hohe Subventionszahlen. Diese Rechnung zweifelt die chinesische Seite an. Sie vertritt – wenig verwunderlich – die Gegenmeinung. Zum Beispiel Andy Xie. Er war jahrelang bei der US-Investmentbank Morgan Stanley Chefökonom für die Asien-Pazifik-Region mit Sitz in Hongkong. Inzwischen ist er Berater in Shanghai. In einem Kommentar für die South China Morning Post erklärt er Chinas Erfolg auf den Weltmärkten nicht mit der Gewährung von staatlichen Subventionen: „Government subsidies exist in China as they do in other countries, but this is not the reason for China´s success. The real story is China´s innovation and scale.” Nach seiner Ansicht sind also Chinas gestiegene Innovationsfähigkeit und seine effiziente Produktion wegen eines gigantischen Heimmarktes Ursachen dafür, dass chinesische Produkte zunehmend auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind.

Das ist auch die Position der chinesischen Regierung, wie man einer soeben veröffentlichten Sonderausgabe (!) des Newsletters CHINAH der Chinesischen Botschaft in Berlin entnehmen kann. Dort wird die rhetorische Frage gestellt: „Aber resultieren Chinas Exporterfolge nicht vielmehr aus technologischem Fortschritt und effizienter Produktion?“ Und eine weitere Frage folgt gleich hinterher: „Warum wurde Chinas Rolle als Werkbank der Welt für viele preiswerte Produkte bisher nicht in Frage gestellt, sondern nur jetzt und nur im Bereich der Hochtechnologien?“

Gute Frage. Seit Jahren „flutet“ China die Märkte mit preiswerter Kleidung, Schuhen, Elektroartikeln, Spielwaren und anderen Konsumgütern. Aber niemand hat sich aufgeregt. Im Gegenteil: Die Konsumenten genossen die günstigen Preise, und die Regierungen freuten sich über die geringen Inflationsraten. Der Grund, warum niemand auf die „Flut“ reagierte: Es gab keine heimischen Unternehmen mehr zu schützen, da diese Industrien längst ausgewandert waren. Doch jetzt ist es anders. Diesmal kommt China mit günstigen Produkten, die auch wir herstellen (könnten). Zum Beispiel Elektroautos. Deshalb der Reflex, dass wir uns wehren müssen. Zum Beispiel durch die Erhebung von Anti-Dumping-Zöllen, die Brüssel wohl noch vor der Sommerpause erheben wird. Beijing stuft das als Protektionismus ein und wird sicher reagieren – und damit auch Deutschland treffen. Jenes Deutschland, das seit Jahrzehnten Überschüsse produziert und exportiert. Ja, dessen Geschäftsmodell geradezu darauf basiert, viel mehr herzustellen als im eigenen Land konsumiert wird.

Irgendwie ist dieses Gerede von den Überschüssen weltfremd, widerspricht der gängigen (westlichen) Handelstheorie und führt in letzter Konsequenz zu . So sagte kürzlich der US-Ökonom Nicholas Lardy (Peterson Institute for International Economics, PIIE) auf einer Konferenz in Hongkong zum Thema Überkapazitäten: „Wenn man darüber nachdenkt, dann heißt das, jedes Land sollte nur noch das produzieren, was es selbst konsumiert. Das heißt: kein Handel mehr.“

Info:

Hier die Studie „Overcapacity at the Gate“ der Rhodium Group: https://rhg.com/wp-content/uploads/2024/03/Overcapacity-at-the-Gate.pdf

Die Studie „Foul Play? On the Scale and Scope of Industrial Subsidies in China“ des Kiel Institut für Weltwirtschaft: https://www.ifw-kiel.de/publications/foul-play-on-the-scale-and-scope-of-industrial-subsidies-in-china-32738/

Die Sonderausgabe des Newsletters der Chinesischen Botschaft in Berlin: http://de.china-embassy.gov.cn/det/zt/Newsletter/202405/P020240502633845986307.pdf

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