HU IS HU? Richard Wilhelm- erst Theologe, dann Übersetzer und Sinologe

Richard Wilhelm ist einer der großen deutschen Sinologen. Er übersetzte als Erster die chinesischen Klassiker ins Deutsche. Karin Betz, ebenfalls Übersetzerin von Beruf, wollte mehr über Richard Wilhelm wissen, und begab sich deshalb in das Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, wo sie die Briefe und Tagebücher von Richard Wilhelm auswertete. Dabei entdeckte sie „viel Erhellendes über die unrühmliche deutsche Kolonialgeschichte in China und das Chinabild der Weimarer Republik“, aber auch über einen „großen Humanisten“. Darüber schrieb sie in der Zeitschrift Babelwerk einen interessanten Artikel: „Die rückständigen Europäer – mit Richard Wilhelms Nachlass auf Gedankenreise in die Kolonialgeschichte.“ Eigentlich war Wilhelm Theologe. Er studierte am Evangelischen Stift in Tübingen, ehe er 1899 im Dienste der Deutschen Ostasienmission nach Qingdao übersiedelte, das sich damals Tsingtao nannte und deutsches Protektorat war. Doch das Missionarische war nicht sein Ding. Karin Betz schreibt: „Wilhelm fand keine Freude daran, im fernen Qingdao…Chinesen zum Christentum zu bekehren. Am Ende seiner Missionarszeit hatte Wilhelm keinen einzigen Chinesen getauft, aber Unzählige gerettet, unterrichtet und selbst mit solchem Eifer Chinesisch gelernt, dass er zum Pionier der Übersetzungen von Klassikern der chinesischen Philosophie ins Deutsche wurde, mit denen er bis heute Maßstäbe gesetzt hat“. Zwischen 1910 und 1930 übersetze Wilhelm in acht Bänden chinesische Klassiker (sie sind alle im Eugen Diederichs Verlag erschienen). Karin Betz stellt sich die Frage: „War Wilhelm ein übersetzender Prediger oder ein predigender Übersetzer?“ Doch sie findet bei ihrem Gang ins Archiv darauf keine Antwort. Betz: „Stattdessen tauche ich über seine Tagebücher und die Manuskripte zu Reden und Essays ein in die deutsche Kolonialzeit und den Ersten Weltkrieg in Ostasien und schnell wird deutlich, wie sehr seine Übersetzungen in ihren Begriffen und Formulierungen vor allem eins sind: der Ausdruck eines dringenden Bedürfnisses, in einer Zeit von Kriegstreiberei und Rassismus das Verbindende zwischen den Kulturen zu betonen.“ Er und seine Frau Salome „waren von China fasziniert und hatten nicht die geringste Lust, zum verlängerten Arm des Kolonialismus zu werden“. Sie setzten beide auf Austausch, auf Frieden durch Wissen. Eine Schule wird gegründet, in der Salome Wilhelm Chinesen in Deutsch unterrichtet, ein Hospital. Nach seiner Zeit in Qingdao war Wilhelm noch zwischen 1892 und 1924 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der deutschen Gesandtschaft in Peking tätig, ehe er 1924 zurück nach Deutschland ging. An der Uni Frankfurt besetzte er den neu geschaffenen Lehrstuhl für Chinesische Geschichte und Philosophie. Zudem gründete er das China-Institut der Universität Frankfurt. 1930 starb Wilhelm. Für Karin Betz war der Gang ins Archiv und die dortige Beschäftigung mit Richard Wilhelm eine lehrreiche Erfahrung: „Ist es billig und banal zu sagen, wie beglückend die Erfahrung war, in das Leben dieses wachen und humorvollen Humanisten einzutauchen und dabei seine zeithistorische Rolle nachzuerleben, mittendrin zu sein im Zeitalter des Kolonialismus, der Sänftenträger und derjenigen, die getragen wurden?“

Info:

Hier der Link zum Artikel von Karin Betz in Babelwerk: https://babelwerk.de/nachgelassenes/die-rueckstaendigen-europaeer/

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