SPORT I Ein Volk lernt Laufen

Immer mehr Chinesen laufen lange Strecken – bis hin zum legendären Marathon. In den letzten zehn Jahren ist die Neigung, sich laufend auf der Straße zu quälen, deutlich gestiegen. Allein 2023 verzeichnet die Statistik 580 Straßenläufe in diversen Städten und Regionen. Weihong Tang, die das Online-Institut der People’s Daily leitet und selbst Marathon läuft, hat soeben den „High-Quality Development Report of Road Running“ herausgegeben. Darin prophezeit sie bis 2025 rund 2500 Lauf-Events, darunter viele Marathons und Halb-Marathons. Insgesamt rechnet sie mit zehn Millionen Läufern, die sich auf die 42,195 Kilometer lange Strecke begeben wollen. Derzeit übersteigt die Nachfrage noch das Angebot, so dass die Veranstalter von Marathons nicht alle Teilnehmer zulassen können. Der Guangzhou-Marathon zum Beispiel war 2023 nur für 30 000 Teilnehmer ausgerichtet, aber es gab über 140 000 Anmeldungen. Auch der Shanghai Marathon war mit über 170 000 Anmeldungen überbucht. Weihong Tang: „In 2023, sign-ups and turnout for China’s top marathon events generally surpassed capacity setting new records.” Wenn die Anmeldungen die Startplätze übersteigen, wird meist ausgelost, wer die begehrten Plätze bekommt. Unter der boomenden Läuferschar hat sich ein Wandel vollzogen: Rannten bis vor kurzem fast nur mittelalte Männer, so mischen sich immer mehr Frauen und junge Männer unters Läufervolk. Nach den 31 bis 40jährigen sind die 24 bis 30jährigen die zweitgrößte Gruppe, die am Laufen Interesse zeigt. Der Sportjournalist und Buchautor Zhang Keping („The Major Era of Marathons“) sieht eine Korrelation zwischen Wirtschaftsentwicklung und Interesse am Laufen. Nach seiner Theorie steigt letzteres, wenn ein Land ein Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 5000 Dollar erreicht. Aber es werden nicht nur immer mehr Chinesen, die lange Strecken laufen wollen, sie werden dabei auch immer schneller. Innerhalb von wenigen Monaten wurde zweimal der Landesrekord gebrochen. Erst lief Anfang Dezember Yang Shaohui im japanischen Fukuoka mit 2 Stunden, 7 Minuten und 9 Sekunden einen neuen Rekord. Doch schon am 24. März unterbot der 25jährige He Jie beim Wuxi Marathon diese Bestmarke. Der Sieger bei den Asia Games 2002 – er war der erste Chinese, der bei diesen Spielen den Marathonlauf gewann – lief als erster Chinese unter Zwei Stunden und sieben Minuten. Der Rekord steht nun bei 2:06:57 Stunden. Nicht so schnell lief ein 52jähriger, der unter dem Namen „Onkel Chen“ bekannt wurde. Er erreichte beim Xiamen Marathon im Januar immerhin nach 3 Stunden und 33 Minuten das Ziel. Trotzdem schaffte er es zu einer medialen Berühmtheit, denn er rauchte während des Laufes permanent Zigaretten. Er wurde danach disqualifiziert. Onkel Chen, der schon einige Marathons rauchend absolviert hatte, muss sich künftig entscheiden: Rauchen oder Laufen.

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