CHINESISCHER ALLTAG I Hongkonger entdecken Shenzhen

Am 12. Januar eröffnete in Shenzhen ein Costco. Na und? In China wird gefühlt jeden Tag irgendwo ein Supermarkt oder Kaufhaus eröffnet. Doch dieser Costco im Shenzhener Stadtteil Longhua ist schon etwas Besonderes. Er ist ein Symbol der zunehmenden Attraktivität Shenzhens für die Einwohner des benachbarten Hongkongs. Zehntausende strömen vor allem am Wochenende von dort über die Grenze – ja, es gibt immer noch eine Grenze zwischen Hongkong und der Volksrepublik – in dieses riesige Warenhaus. Massenweise decken sie sich dort mit günstigen Waren des täglichen Bedarfs ein, weil diese in Shenzhen günstiger sind und der Service freundlicher ist, wie manche Grenzgänger sagen.

Der Ansturm auf Costco (und auch seinen amerikanischen Rivalen Sam´s Club) ist Teil eines Trends: Immer mehr Hongkonger entdecken Shenzhen. Als ich vor etwas mehr als vier Jahren für ein paar Monate in Shenzhen war, spürte man davon nichts. Die beiden Nachbarstädte lebten nebeneinanderher. Die Hongkonger schauten etwas überheblich auf den Emporkömmling jenseits der Grenze herab. Und die Einwohner Shenzhens sahen keinen Grund, nach Hongkong zu fahren, hatten sie doch alles, was auch Hongkong zu bieten hatte– nur eben billiger. Den Kostenvorteil haben nun die Hongkonger entdeckt. Aber ihr erwachtes Interesse an Shenzhen nur mit günstigen Preisen zu erklären, wäre zu kurz gegriffen. Shenzhen hat sich in den vergangenen Jahren zu einer modernen Metropole entwickelt, die Hongkong alt aussehen lässt. Das erst nach 1979 zur Millionenstadt gewordene Shenzhen ist im doppelten Sinne eine junge Stadt mit einem Durchschnittsalter von rund 30 Jahren. Entsprechend ist auch das Angebot an Freizeitmöglichkeiten. Bars, Parks, Nachtmärkte, Malls (besonders der beliebte Coco Park), umgebaute Fabrikgebäude, die Vielfalt chinesischer Küchen – all das lockt Hongkonger. Sie kommen mit dem Bus, altmodisch mit der Metro über den Grenzübergang Lo Wu oder supermodern mit dem Hochgeschwindigkeitszug von West Kowloon nach Futina ins Zentrum Shenzhens. Fahrzeit: 14 Minuten. Über 53 Millionen Besucher aus Hongkong kamen auf diesen unterschiedlichen Pfaden 2023 nach Shenzhen. Diese Entwicklung ist ganz im Interesse der Beijinger Regierung, denn sie will, dass die Region am Perlfluss zusammenwächst. Deshalb hat sie vor Jahren das Konzept Greater Bay Area (GBA) entwickelt, ein Zusammenschluss der beiden ehemaligen Kolonien Hongkong und Macau mit neuen Städten der Provinz Guangdong, darunter auch Shenzhen. Aus dem Begriff „Ein Land, zwei Systeme“ wird zunehmend „Ein Land, ein System“.

Info:
Hier ein CNN-Report über das Shenzhen-Phänomen:

https://edition.cnn.com/2024/02/24/business/hong-kong-people-spending-in-shenzhen-intl-hnk/index.html

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