WIRTSCHAFT I Gipfel erreicht? – Die Diskussion um “Peak China”

Chinas Wirtschaft wächst „nur“ noch um vier bis fünf Prozent. Angesichts dieser Zahlen ist unter Ökonomen (und ein paar Politikwissenschaftlern) eine Diskussion entbrannt, ob Chinas Wirtschaft ihren Zenit überschritten hat und auf dem Weg nach unten ist. Die Diskussion wird unter dem Stichwort „Peak China“ geführt. Den Begriff führte Michael Buckley (Tufts University) in die Diskussion ein. In seinem im Sommer 2022 erschienenen Buch „Danger Zone“ (zusammen mit Hal Brands, Johns Hopkins University) beschreibt er China als eine „peaking power“. Seit 2007 gehen in China die Wachstumsraten zurück, die Produktivität sinkt, während die Schulden steigen. Hinzu kommt the „worst aging crisis in history“. China werde deshalb nicht – wie viele Auguren prognostizierten – die USA überholen: „These intensifying headwinds will make China a less competitive long-term rival to the United States, but a more explosive near-term threat.” Historisch gesehen würden solche Länder – so Buckleys These – wie ein angeschlagener Boxer zunehmend aggressiv reagieren – wirtschaftlich wie militärisch.

Buckley und Brands traten damit eine Diskussion los. Zunächst überwiegten die Fragezeichen. Im Januar 2023 fragte Harvard-Professor Joseph Nye in einem Beitrag für Project Syndicate „Peak China?“. Dieselbe Frage fand sich im Mai 2023 auf dem Cover von The Economist. Im September widmete The Guardian eine ganze Serie der Frage „Have we reached Peak China?“

Nye sieht in seinem Beitrag die USA in mehreren Bereichen China gegenüber überlegen, warnt jedoch davor, China zu unterschätzen: “It is just as dangerous to overestimate Chinese power as it is to underestimate it.” Ähnlich ausgewogen analysierte The Economist. Für das britische Blatt ist Chinas Wachstumsrückgang „neither triumph or desaster“. China werde in diesem Jahrzehnt und auch in den folgenden eine wichtige globale Rolle spielen.

Klare Position bezog dann in Foreign Affairs (September/Oktober-Ausgabe 2023) der US-Ökonom Adam S. Posen. Er hielt sich erst gar nicht mehr mit irgendwelchen Fragen auf, sondern lieferte gleich die Antwort: „The End of China`s Economic Miracle“. Der Präsident des Peterson Institute for International Economics in Washington sieht China in einer „economic long COVID“-Phase. Er macht Xi Jinpings interventionistische Politik für den Rück- oder gar Niedergang verantwortlich. Sie hätte Verbraucher und (private) Unternehmer verunsichert: „In the face of uncertainty and fear, households and small businesses start to prefer cash savings to illiquid investments; as a result, growth persistently declines.“

Langsam, langsam mit solchen vorschnellen Abgesängen, sagen einige nicht minder prominente Beobachter. So kommentierte der Financial-Times-Kolumnist Martin Wolf: „We shouldn’t call Peak China just yet.” Er stellt den zweifellos existierenden strukturellen Problemen Chinas die Stärken gegenüber: “Yet it is also worth remembering the strengths of this vast country, which graduates 1.4 million engineers a year, has the world’s busiest patent office, has a highly entrepreneurial population, and is showing world-leading potential in, to take just one example, electric vehicles. In information technology, it already seems far ahead of the Europeans.” Ähnlich argumentiert der Richard McGregor (Lowy Institute) soeben in The Australian Financial Review. Sein Artikel dort hat die Überschrift „Why the Peak China story is overdone”. Er sieht China nicht auf einem Abstieg von einem Peak, sondern eher ein Verharren auf einem nach wie vor relativ hohen Plateau. Ja, Chinas Wirtschaft wachse langsamer, aber sie kollabiert nicht. Der zu starke Fokus auf den Problemsektor Immobilien verneble den Blick auf „China‘s formidable strenghts“. Dazu zählt McGregor, der einst FT-Korrespondent in China war, „the ability to mobilise capital, people, resources and technology, for a singular purpose.”

Auf akademischer Seite ist eine Zweiflerin des Peak-Ansatzes Keyu Jin. Sie lehrt an der London School of Economics und hat im vergangenen Jahr das Buch „The New China Playbook“ veröffentlicht. Sie schreibt: „Many people today still hold the deep-seated conviction that China´s present course will end in disaster unless it converges with Western values, economic systems, and political persuasions.” Sie sieht das alte chinesische Wachstumsmodell am Ende, aber gleichzeitig ein neues entstehen, das auf Innovationen und Technologie basiert: „Its new model is based on a slower but saner pursuit of growth – more orderly, regulated, and monitored.”

Vor ein paar Monaten diskutierte Keyu Jin in einem Podcast des Magazins Foreign Policy mit Peak-China-Erfinder Michael Buckley. Prädikat: Hörenswert.

Info:

Ein Artikel von Michael Buckley: https://www.lawfaremedia.org/article/the-dangers-of-peak-china

Joseph Nye fragt „Peak China?”: https://www.aspistrategist.org.au/peak-china/

Die Serie in The Guardian: https://www.theguardian.com/world/series/peak-china

Der Adam-Posen-Beitrag in Foreign Affairs: https://www.foreignaffairs.com/china/end-china-economic-miracle-beijing-washington

Martin Wolfs FT-Artikel in The Irish Times: https://www.irishtimes.com/business/economy/2023/09/20/we-shouldnt-call-peak-china-just-yet/

Richard McGregor in The Australian Financial Review: https://www.afr.com/world/asia/why-the-peak-china-story-is-overdone-20240201-p5f1ji

Foreign-Policy-Diskussion zwischen Michael Buckley und Keyu Jin: https://www.youtube.com/watch?v=LW-yf491tHs

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