HU IS HU I Philipp Böing, Professor für empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China

Philipp Böing (41) ist in der deutschen Wissenschaft einer von wenigen Wissenschaftlern, der sich empirisch mit Chinas Wirtschafts- und Innovationspolitik auseinandersetzt. Neben etablierten Experten wie Doris Fischer (Würzburg), Margot Schüller (Hamburg) und Markus Taube (Duisburg-Essen), allesamt eine Generation über ihm, ist das Feld der sogenannten Nachwuchswissenschaftler bislang überschaubar. „In der deutschen Ökonomie ist China, gemessen an der wirtschaftlichen Bedeutung für den Standort Deutschland, noch unterrepräsentiert“, sagt Böing. Diese Aussage spiegelt die traurige Realität wider: China – Deutschlands größter Handelspartner und aufsteigende Technologiemacht – ist hierzulande noch zu selten Forschungsgegenstand.

Ökonom Böing betrachtet China nicht aus der sinologischen oder regionalwissenschaftlichen Ecke, sondern aus der wirtschaftswissenschaftlichen, obgleich er auch einschlägige China-Expertise hat. An der Ruhr-Universität Bochum begann er 2004 das Bachelor-Studium in Wirtschaft und Chinesisch. „Es war in China die Zeit der Auf- und Umbrüche“, erinnert er sich, „das Land war mitten in der Transformation von Plan- zur Marktwirtschaft.“ In diesem Spannungsfeld zwischen Markt und Staat bewegt sich China bis heute – und genau das fasziniert Böing: „In China hat sich ein sehr spezifisches Wirtschaftsmodell herausgebildet, welches derzeit nicht weiter mit westlichen Marktwirtschaften konvergiert.“ Auch in seinem Master -Studium an der Frankfurt School und während der Promotion blieb er dem China-Thema treu. Und so bog er irgendwann in die wissenschaftliche Laufbahn ab, obwohl das ursprünglich gar nicht sein Plan war. Er liebäugelte mit einem Job in der Beratung oder bei einer Investmentbank.

Aber seine wissenschaftlichen Beiträge überzeugten. Noch vor Ende seiner Promotion, die übrigens von der Körber Stiftung ausgezeichnet wurde, bekam er ein Angebot vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. „Das war sehr verlockend“, sagt Böing, „denn in der empirischen Innovationsforschung ist das ZEW eine führende Institution.“ 2014 fing er dort im Bereich „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“ an und arbeitet nach Abschluss der Promotion als Post-Doc. Zwischen 2017 und 2019 ging er als Assistenzprofessor an die Peking Universität, um am renommierten China Center for Economic Research zu lehren und zu forschen. Überhaupt war während der vergangenen zwei Jahrzehnte fortwährend im aktiven Austausch mit chinesischen Ökonomen, und absolvierte Forschungsaufenthalten unter anderem an der Tsinghua Universität in Peking und der China Europe International Business School in Shanghai. Im vergangenen Jahr arbeitete er, gefördert durch das Taiwan Fellowship Programm, am „Institute of Economics“ der Academia Sinica in Taipei. „Den direkten Austausch mit den Kollegen vor Ort habe ich stets als sehr bereichernd empfunden.“

Die Frage drängt sich auf: Erlebte er dort Restriktionen? Er antwortet: „Ich hatte bislang keinerlei Probleme und musste keine Kompromisse machen.“ Selbst seine Studie über die Zweckentfremdung staatlicher Forschungsgelder durch Unternehmen konnte er unzensiert präsentieren und als Working Paper an der Peking Universität veröffentlichen. Aber er betont auch, dass seine Erfahrung nicht repräsentativ sei.

Die Faszination für China beschränkte sich nicht nur auf seine wissenschaftliche Arbeit. Er erlernte während seiner Aufenthalte die chinesische Teekultur und Tai-Chi – bis heute ein fester Bestandteil seines Lebens. Böing hält den persönlichen Austausch und Einblicke vor Ort für elementar – und kann sie seinen Studierenden nur empfehlen. Umso mehr bedauert er, dass sich just diese Einblicke derzeit auf einem Tiefpunkt befinden. Es gebe immer weniger deutsche Studierende in China, und auch die Zahl der deutschen Manager vor Ort habe abgenommen. Gleichzeitig fehle auch hier der wissenschaftliche Nachwuchs. Das Thema China stecke derzeit ein einem Dilemma: Distanzierung bei gleichzeitiger Kooperation. „Dabei brauchen wir gerade in Zeiten zunehmender geopolitischer Friktionen mehr China-Expertise.“

Demnächst kann Böing selbst dazu beitragen, dass sich mehr Studierende mit China beschäftigen. Seit Februar ist er Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt und forscht auch weiterhin als Senior Researcher am ZEW in Mannheim.

 Im kommenden Sommersemester wird er sein erstes Seminar über Innovationen in China halten. Es ist offen für Studierende der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften sowie des Zentrums für Ostasienstudien. Boeing: „Ich bin gespannt auf den Diskurs unterschiedlicher Sichtweisen zu aktuellen Themen.“ Sein derzeitiger Forschungsschwerpunkt liegt auf der Innovations- und globalen Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in China. „Dies erfordert zum einen eine Binnenbetrachtung der chinesischen Wirtschaftsprozesse, zum anderen eine Betrachtung der Außenwirkung, zum Beispiel auf das Innovationsverhalten deutscher Unternehmen“, erläutert Böing. Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung untersucht er aktuell, gemeinsam mit Kollegen aus Asien und Nordamerika, die Anatomie des chinesischen Innovationssystems, sowie die Technologie-Souveränität Chinas im Vergleich zu Europa und den USA.

Info:

Die Homepage von Philipp Böing: https://www.philippboeing.com/

Und hier ein Interview mit Philipp Böing im Deutschlandfunk:

https://www.deutschlandfunk.de/mehr-chinakompetenz-durch-innovationsforschung-interview-mit-philipp-boeing-dlf-371778b5-100.html

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