Am 3. März geht es wieder los. Von Zunyi aus wollen Volker Häring und Christian Y. Schmidt den zweiten Teil ihres Langen Marsches starten. Nicht zu Fuß, wie einst die Mao-Truppen, sondern mit dem Fahrrad. Den ersten Teil hatten sie im Herbst absolviert (siehe CHINAHIRN, 1. Januar 2024). Damals legten sie knapp 2700 Kilometer zurück, nun liegen weitere knapp 4000 Kilometer vor ihnen. Am 26. Februar ist Häring via Bangkok und Kunming nach Zunyi angereist. Schmidt folgte kurze Zeit später am 1. März via Chengdu.
Kurz vor ihrer Abreise aus Deutschland habe ich die beiden noch im Berliner Lokal Lao Xiang an einem Freitagnachmittag um 15 Uhr getroffen. Ein Zeitpunkt, zu dem man nicht weiß, ob man noch Kaffee/Tee oder schon Alkohol trinken darf/soll. Schmidt bestellt ein Apfelschorle, Häring ein Weizenbier. Schmid legt das Buch „Chinesische Aufzeichnungen“ von Otto Braun auf den Tisch. Otto Braun war der einzige Ausländer damals in den 30er Jahren in der Mao-Truppe. Auf seinen Spuren fahren die beiden den Langen Marsch nach. Schmidt fängt in dem Buch an zu blättern und vorzulesen, bis es Häring zu langweilig wird. Er packt seinen Laptop aus, klappt ihn auf und öffnet eine Datei mit einem sehr detaillierten Plan der bevorstehenden Tour. Alle Tagesetappen sind dort notiert – mit exakter Länge und Streckenprofil. Es ist eine sehr anspruchsvolle Strecke. Sie führt durch sechs Provinzen: Guizhou, Yunnan, Sichuan, Gansu, Ningxia und schließlich Shaanxi. Erst geht es auf das rund 1500 Meter hohe Yunnan-Plateau, später dann auf das wesentlich höhere Tibetische Hochland. Dort ist ein Pass von über 4060 Meter zu überqueren. Schmidt zeigt Respekt – vor der Höhe und der möglichen Kälte: „Ich war da schon mal im August, da hat es geschneit.“ Jetzt werden sie den Pass schon im April erreichen. Schmidt schüttelt sich bei dem Gedanken. Häring frotzelt: „Beschwer dich bei Mao.“
An diesem Beispiel zeigt sich die verschiedene Grundeinstellung der beiden. Christian ist der eher Pessimistische, während Volker stets sagt: Es wird schon gutgehen. (Ich bin mit beiden per Du, deshalb wechsle ich jetzt, deshalb darf ich sie hier auch beim Vornamen nennen, wo es ein bisschen persönlicher wird) Und Volker sagt auch: „Ich freue mich auf den zweiten Teil der Fahrt.“ Christian hingegen gibt zu, dass er in der Winterpause, die er im grauen Berlin verbracht hat. etwas mit sich gerungen hat. Aber ernsthaft stand die Tour nicht auf der Kippe. Zu viel haben sie in das Projekt investiert – Geld, Geist und Zeit. Zudem winkt der Ruhm, dass sie als erste Deutsche diese Strecke bewältigt haben – fast 90 Jahre nach Otto Braun.
Die beiden haben sich trotz aller Frotzeleien stets arrangiert. Sie erinnern an ein altes Ehepaar, das sich liebt und neckt. Volker zieht einen anderen Vergleich: „Wir sind halt beide Affen“, sagt er und meint damit das chinesische Sternzeichen. Christian googelt, was Affen auszeichnet und interpretiert deren Verhalten etwas überspitzt: „Sie sind auf Krawall gebürstet, haben immer einen Schalk im Nacken und sind extrem intelligent.“
Auf der Tour haben sie eine klare Hierarchie. Volker, der hauptberuflich Radtouren in aller Welt organisiert, ist der Reiseplaner. Er bestimmt die Strecke, er organisiert schon aufgrund seiner Chinesisch-Kenntnisse die Hotels am jeweiligen Zielort. Er ist auch Herr des Zeitplans, in dem ein paar Ruhetage eingeplant sind, aber auch sieben sogenannte Puffertage, in denen sie Unvorhergesehenes (Wetterunbill oder Materialschaden) aussitzen können. Je nachdem, wie viele Puffertage sie benötigen, werden sie Mitte Mai in Yan‘an erreichen, den Zielort des Langen Marsches, wo sich bis 1949 das Hauptquartier der Kommunistischen Partei Chinas befand.
Was sie dort erwartet? Christian ganz bescheiden: „Ein Bier.“ Volker hofft, dass das lokale Fernsehen sie in Empfang nimmt. Der Rückflug ist von Beijing aus für den 30. Mai gebucht.
Danach beginnt der dritte Teil des Projekts. Die Auswertung der Reise in Form eines Buches, dessen finaler Titel noch nicht feststeht. Manuskript-Abgabe ist im März 2025. Erscheinen soll das Werk im Frühherbst 2025 bei Ullstein. Beide schreiben während der Fahrt Tagebuch. Ihre Gedanken in ein gemeinsames Werk zu pressen, wird nochmals eine intellektuelle Herausforderung für die beiden intelligenten Affen. Aber wie sagt stets einer von ihnen: „Es wird schon gutgehen.“
Info:
Die Reise von Volker Häring und Christian Y. Schmidt kann man auf folgenden Social Media verfolgen:
https://www.facebook.com/derlangemarsch/