HU IS HU? Liu Zhengrong – vom Dax-Vorstand zum Brückenbauer

Liu Zhengrong (55) machte eine der interessantesten Karrieren in der deutschen Wirtschaft – vom Werkstudenten zum Vorstand eines Dax-Unternehmens. Kein gebürtiger Chinese brachte es hierzulande bislang so weit. Zuletzt war Liu zehn Jahre lang als Personalchef beim Hamburger Dax-Unternehmen Beiersdorf (bekannteste Marken: Nivea, tesa), die meiste Zeit als Vorstandsmitglied. Doch ein Jahr vor Ende seiner zweiten Amtszeit kam er ins Grübeln: Nochmals verlängern? Zu einem noch größeren Konzern wechseln und damit weiter im sich ewig drehenden Hamsterrad bleiben? Nein, er stieg aus. Mit 55 Jahren! Ein Schritt so ungewöhnlich wie seine bisherige Karriere. Was nun? „Ich will etwas zurückgeben.“ Und zwar an junge Menschen. Deshalb lehrt er an der Uni Köln – seiner Alma Mater – in „Leadership & Change Management“. Außerdem ist er Mentor für Berufsanfänger – am liebsten mit Migrationshintergrund. Warum? „Weil ich auch so einer war.“

Mit wenig Geld und noch weniger Deutsch-Kenntnissen kam er 1990 aus Shanghai nach Köln zum Studium der Pädagogik, Politikwissenschaft und Anglistik. Er kellnerte im Kölner China-Restaurant Lotus, unterrichtete Chinesisch, unter anderem auch für den einen oder anderen Manager des Bayer-Konzerns. Einem fiel dieser junge Mann aus China auf. Und er lotste ihn in den Bayer-Konzern, wo er Stufe für Stufe nach oben kletterte. 1998 wurde er HR-Chef für Bayer China. Drei Jahre später war er in selber Funktion für die ganze Region Asien-Pazifik zuständig. Sein Chef in Shanghai war damals Axel Heitmann. Als dieser 2004 CEO der Bayer-Abspaltung Lanxess wurde, machte er Liu zu seinem Personalchef in diesem jungen Unternehmen mit damals knapp 20 000 Mitarbeitern, davon allein 10 000 in Deutschland. Zehn Jahre machte er diesen Job. Und zwar so gut, dass der Beiersdorf-Aufsichtsrat auf ihn aufmerksam wurde und ihn im Mai 2013 zum Nivea-Konzern holte. 2014 rückte er in den Vorstand auf. Später kam noch die Zuständigkeit für das Nivea-Geschäft in Greater China hinzu. Jeden Monat war er deshalb in seinem Heimatland.

Er kennt beide Länder – China und Deutschland – bestens. Als Beiersdorf-Vorstand hielt er sich mit öffentlichen Äußerungen zu den deutsch-chinesischen Beziehungen zurück. Doch jetzt kann er frei reden: „Ich mache mir große Sorgen.“ Er sieht die Beziehungen auf dem tiefsten Stand seit 1989, dem Jahr des Tiananmen-Massakers. Er konstatiert eine zunehmende Entfremdung zwischen beiden Nationen, die auch die Wirtschaft und die Unternehmen betrifft. Die jetzige chinesische Führungsgeneration der deutschen Unternehmen in China habe oft einen starken persönlichen Bezug zu Deutschland, aber die nachwachsende deutlich weniger, und das in einer Zeit, wo deutsche Firmen mehr denn je auf einheimische Spitzenkräfte angewiesen sein werden. Wie bindet man diese nächste und übernächste Führungsgeneration an das Unternehmen und damit auch ein Stück weit an Deutschland? „Mit dieser Frage müssen sich alle deutschen Unternehmen – ob Konzerne oder Mittelstand – beschäftigen“, sagt Liu. Und weiter: „Dass die Firmen die richtige Personalauswahl treffen, die Auserwählten über etliche Jahre fördern und fordern, ist heute eine Selbstverständlichkeit. Viele Unternehmen sorgen zusätzlich dafür, ihren Spitzennachwuchs im Stammhaus gut zu vernetzen. Trotzdem ist es nicht genug,“ sagt Liu, der inzwischen längst deutscher Staatsbürger ist. Er will deshalb ein Programm für chinesische Führungskräfte aus der heutigen zweiten Reihe auflegen. Für 14 Tage sollen sie nach Deutschland kommen, wo sie mit Politikern, Medien- und Kulturschaffenden, NGOs und Gewerkschaftlern zusammentreffen. „Ein solches Format wäre eine notwendige Ergänzung zu dem, was viele Unternehmen heute schon tun“, sagt Liu. Es würde Netzwerke fördern, zwischen Deutschen und Chinesen, aber auch innerhalb der chinesischen Führungskräfte. Im Idealfalle könnte ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie bei den Baden-Badener Unternehmensgesprächen entstehen, wo sich die Jahrgänge auch danach regelmäßig austauschen und gegenseitig unterstützen.  „Für die meisten Unternehmen wäre es zu mühsam, so ein Programm für einzelne Personen zu stricken“, erklärt Liu. Außerdem gehe der Vernetzungseffekt verloren.

Derzeit ventiliert Liu seine Idee und sucht Mitstreiter bei Unternehmen, Verbänden und Stiftungen.

Info:

Liu Zhengrong ist erreichbar unter zhengrong.liu@t-online.de

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