China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Andreas Tank (44).
Am 4. Januar 2024 feierte Andreas Tank ein 20-jähriges Jubiläum. An jenem Tag im Jahre 2004 landet er nämlich in Beijing. Er begann dort ein Praktikum bei der China-Tochter des Heizungsbauers Viessmann. Damals gab es – erinnert er sich – gerade zwei U-Bahn-Linien in der chinesischen Hauptstadt. Man telefonierte mit Siemens-, Nokia- oder Motorola-Handys und bezahlte mit Bargeld. Heute lebt Tank immer noch in China, aber dieses China von heute ist eine andere Welt. In Shanghai, wo er heute lebt, gibt es anstatt 4 jetzt 20 Metro-Linien. Tickets zahlt man bargeldlos mit Handys der Marken Apple, Huawei, Oppo, Vivo oder Xiaomi.
Das sind nur ein paar wenige Beispiele, die den rasanten Aufstieg Chinas der letzten beiden Jahrzehnte dokumentieren. Tank hat diesen mit eigenen Augen miterlebt und irgendwie hat er auch ganz persönlich von diesem Aufstieg Chinas profitiert. Er hat seine berufliche Karriere in eine Richtung katapultiert, von der er 2004 nicht zu träumen wagte – und erst recht noch nicht zu seinen Schulzeiten.
Tank wuchs in Lemgo in Ostwestfalen auf. Dort ging er auf das Engelbert-Kaempfer-Gymnasium. Kaempfer war ein großer Sohn der Stadt. Vor über 350 Jahren war er einer der ersten deutschen Forschungsreisenden, die sich auf den beschwerlichen Weg nach Asien machten. Weil das Gymnasium diesen Namenspatron hatte, gab es dort schon Japanisch-Unterricht. Der zehnjährige Andreas nahm daran teil und begann sich schon früh für den fernen asiatischen Kontinent zu interessieren, was sich auch im Studium fortsetzte. Sein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kassel und Paris endete mit einer Masterarbeit über Marketing in China. Dies brachte ihm 2004 auch das Praktikum bei Viessmann in Beijing ein. Der nordhessische Heizungsbauer ließ den Praktikanten nicht mehr ziehen und stellte ihn unter Vertrag, um Struktur in das Chinageschäft zu bringen und so startete Tank vorerst als Controller. Das Jahr 2004 nutze Tank auch für die Feldforschung für seine erste Doktorarbeit über China-Marketing (Uni Kassel). Darauf folgte bis 2008 eine Promotion in der Sinologie der Uni Göttingen, in der Tank – parallel zur Arbeit – die interkulturellen Erfolgsfaktoren der Markbearbeitung bis zurück ins Kaiserreich erforschte. Für Viessmann implementierte Tank ein bis dato in der Heizungsindustrie beispielloses, landesweit führendes Showroom-Netzwerk auf Händlerebene.
Fast zehn Jahre war er bei Viessmann, dann wechselte er in die Konsumgüterindustrie. Es galt das China-Geschäft für eine deutsche Traditionsmarke aufzubauen: Haribo. Zwar wurden die Gummibärchen bereits in China verkauft, aber nur als Exportgeschäft. Der Bonner Konzern wollte den Vertrieb in eigener Regie aufbauen. Firmen-Patriarch Hans Riegel stellte dafür noch kurz vor seinem Tode Tank ein. Dieser legte eine Markteintritts-Strategie vor und setzte sie zügig um. Nach nur kurzer Zeit gab es Goldbären in über 20 000 Läden, einen Tmall Flagship Store und über 180 000 Follower in den sozialen Medien. Rund dreieinhalb Jahre war Tank bei Haribo, das nach dem Tode von Hans Riegel in diverse Turbulenzen geriet, die man auch in China spürte. Tank wollte sich neu orientieren und fragte sich, ob er nochmals zu einem Konzern gehen oder sich selbständig machen soll. Auf jeden Fall wollte er in China bleiben. Er hatte sich dort als Experte einen Namen gemacht, wozu auch diverse Bücher und ein Blog beitrugen.
Er entschied sich für die Selbständigkeit als Berater, was ihm leichtfiel, weil er gleich zum Start drei renommierte Kunden hatte: Dr. Oetker, Villeroy & Boch und Borussia Dortmund, deren China-Geschäft er unterstützte. Für Oetker ist er heute noch als Repräsentant für den nordostasiatischen Markt (Greater China und Japan) tätig. Er konzentriert sich bei seiner beratenden, aber auch Hands-On-Unternehmensbegleitung auf die – wie es in der Fachsprache heißt – Fast Moving Consumer Goods (FCMG). Aber er sagt auch, dass es für ausländische Marken nicht mehr so einfach ist wie früher: „Vor 15 Jahren rissen einem chinesische Distributeure die ausländischen Marken aus der Hand.“ Heute seien die Chinesen viel selbstbewusster, und die einheimischen Produkte harte Wettbewerber. Die Folge: „Wer heute keine erhebliche Stange Geld für den Markenaufbau mitbringt, hat als Neueinsteiger keine Chance.“ Das Geschäft ist also herausfordernder geworden. Aber China zu verlassen, was einige Expats getan haben, kommt für ihn nicht in Frage. „Ich bin krisenaffin“, sagt er, was nicht zuletzt auch der Lockdown in Shanghai bestätigt hat. Er half bei der Versorgung des Compounds, führte ein Tagebuch auf LinkedIn, und für die unzähligen PCR-Tests schnitt er Videos zusammen, um die Stimmung hochzuhalten. Parallel schrieb er mit „Pionier der Lüfte“ noch ein Buch über Chinas Anfänge in der zivilen Luftfahrt, die chinesisch-deutsche Fluggesellschaft Eurasia und deren Ausnahmepilot Wulf-Diether Graf zu Castell (siehe CHINAHIRN 76).
Nein, er bleibt in China. Nach Deutschland düst er zwei- bis viermal im Jahr. Zuletzt war er zu Weihnachten und zum Jahreswechsel hier. Den 20. Jahrestag seines China-Aufenthaltes feierte er aber in Shanghai – und seit dieser Woche hält er eine chinesische Green Card in seiner Hand.
Info:
Hier die Homepage von Andreas Tank: https://www.china-marketing.eu/dr-dr-andreas-tank/