Am 1. und 2. November brachten sie noch erfolgreich ihren NextChina-Kongress über die Bühne des Apella am East River in New York. Doch am 6. November mussten die Macher des Newsletters The China Project per Mail „some sad news“ verkünden: „We have to shut down”, war die Überschrift. Eine traurige Nachricht, und auch ein Lehrstück über die Schwierigkeiten einer ausgewogenen China-Berichterstattung in polarisierenden Zeiten.
Das Projekt startete 2016 in einer etwas anderen Zeit. Damals hieß der Newsletter noch SupChina. Chefredakteur war Jeremy Goldkorn, CEO Bob Guterma und Geldgeberin Anla Cheng, eine chinesisch-stämmige Finanzinvestorin. Der (werk-) tägliche Newsletter sollte dem bereits etablierten „Sinocism“ von Bill Bishop Konkurrenz machen. SupChina war nicht so umfangreich, dafür aber flotter aufgemacht. Mit 120 Dollar war das Jahresabo um ein Drittel günstiger als das von Sinocism. Sukzessive erweiterte das Team sein Portfolio, zum Beispiel um den Podcast Sinica mit dem legendären Kaiser Kuo. Später bot man Beratung für Unternehmen an, stieg ins Event-Geschäft ein und veranstaltete Kongresse zu China.
SupChina, das im Juni 2020 seinen Namen in The China Project änderte, war scheinbar auf gutem Wege, auch wenn es nicht die Zahlen des Konkurrenten Sinocism erreichte. Doch dann heuerte am 15. April 2022 die Journalistin Shannon Van Sant bei The China Project an. Sie hatte zu dem Zeitpunkt bereits eine illustre journalistische Karriere hinter sich, war bei ABC und NBC und arbeitete in China für den Staatssender CCTV und später für PBS. 2017 kam sie aus China zurück. Bei SupChina sollte sie in der Wirtschaftsredaktion arbeiten. Doch nach knapp drei Monaten wurde sie gefeuert. Goldkorn erklärte: “She was fired for poor performance and refusing to complete the work she was hired to do.“ Sie hingegen sagte sinngemäß, dass sie entlassen wurde, weil sie nicht in die pro-chinesische Linie des Newsletters passte. Am 21. Oktober 2022 gab Van Sant eine 12seitige eidesstattliche Erklärung ab, in der sie diesbezüglich schwere Vorwürfe gegen Chefredaktion und Management erhob.
Diese Erklärung war für die beiden China-Basher und Congress-Mitglieder Marco Rubio und Chris Smith ein gefundenes Fressen. Sie forderten eine Untersuchung gegen The China Project und warfen dem Medienunternehmen vor, ein „foreign agent“ zu sein.
Offenbar hatten die beiden Herren noch nie einen Newsletter von The China Project gelesen. Seit Juli 2018 ist The China Project in China geblockt. Goldkorn legte zur Widerlegung der Anschuldigungen eine lange Liste kritischer China-Artikel vor und schrieb dazu: “If you dive deeper into our full archives, you will see that we have written literally hundreds of articles about all the topics that are most sensitive, and some absolutely forbidden, in China.” Ironischerweise wurde The China Project auch von chinesischer Seite vorgeworfen, in Diensten des amerikanischen Staates zu stehen. “We have been accused many times in both countries of working for nefarious purposes for the government of the others”, schreiben Goldkorn, Kaiser Kuo, Guterma und Anla Cheng in ihrem Abschiedsbrief.
Die Auseinandersetzung kostete The China Project Renommee und viel Geld. Zunächst fielen Anwaltskosten an: “Defending ourselves has incurred enormous legal costs.” Doch viel schmerzhafter war, dass es für das Projekt immer schwieriger wurde, Investoren, Anzeigenkunden und Sponsoren zu gewinnen. Denn allein von Abo-Kunden konnte das Projekt nicht (über-)leben. So blieb dem Team nichts anderes übrig, als am 6. November das Erscheinen des Newsletters einzustellen. Gefolgt von Beileidsbezeugungen vieler Leser. Einer, der bekannte China-Forscher Victor Shih (UC San Diego), schrieb: „Very sad, indeed.“
Info:
Hier die Erklärung von Shannon Van Ant:https://cdn.sanity.io/files/ifn0l6bs/production/02eecb6aa12cd9a49f4c5a2abfc2435bdd6a4575.pdf
Hier die Antwort von Jeremy Goldkorn auf die Anschuldigungen des Senators Rubio:https://thechinaproject.com/2022/10/30/a-response-to-baseless-allegations/