Zwei deutsche Professoren waren kürzlich in China: Thomas Heberer (Senior Professor an der Uni Duisburg-Essen) und Klaus Mühlhahn (Präsident der Zeppelin Universität Friedrichshafen). Es war für beide ihre erste Reise nach mehreren Jahren Corona-bedingter Abwesenheit. Sie waren natürlich neugierig, ob und wie sich ihr China verändert hat. Nach ihrer Rückkehr berichteten sie über ihre Eindrücke. Mühlhahn tat das in schriftlicher Form im Newsletter „Chinapolitan“ und Heberer coram publico im Konfuzius Institut Rhein Ruhr in Duisburg. Beide berichten von einer Reise in ein anderes China. Mühlhahn: „Ich habe ein verändertes Land erlebt. Die oberflächliche Normalität des Lebens, die scheinbare Überwindung der Pandemie-Auswirkungen trügt.“ Heberer konstatiert zahlreiche Veränderungen im alltäglichen Leben. Bargeld sei weitgehend verschwunden, und westliche Kreditkarten seien kaum noch nutzbar. Stattdessen würden die meisten Zahlungen über Alipay und WeChat Pay abgewickelt. Das Einkaufsverhalten der Menschen habe sich schneller verändert: Kaufhäuser und Shopping Malls seien menschenleer, eingekauft würde vor allem online. Auch der Dienstleistungssektor sei sehr stark digitalisiert.
Sowohl Heberer als auch Mühlhahn sind die vermehrten Sicherheitsvorkehrungen aufgefallen. Mühlhahn: „Sicherheit hat einen besorgniserregenden Stellenwert erlangt. Flugzeuge, Züge, öffentliche Gebäude – überall werden Ausweise vorgezeigt und biometrische Daten erhoben. Universitäten, die einst offen für jedermann waren, haben nun ihre Tore geschlossen.“ Heberer merkt an, dass all diejenigen, die nicht über eine chinesische ID/Ausweis und Telefonnummer verfügten, schwerer Zugang zu Internet, Bahnhöfen und Flughäfen bekämen. Gerade internationale Besucher und Besucherinnen stelle dies vor besondere Herausforderungen.
Ähnlich auch die Einschätzung der beiden Professoren zur wirtschaftlichen Lage. Sie sei angespannter als in den Vorjahren, sagte Heberer. Sowohl für den Staat als auch die Privatwirtschaft seien die Zeiten deutlich härter geworden. Auf lokaler Ebene kämpften die Städte, Kreise und Gemeinden mit hoher Verschuldung. In den letzten Jahrzehnten hätten diese sich maßgeblich über die Entwicklung von Immobilienprojekten finanziert. Diese Einnahmenquelle versiege nach und nach.
Mühlhahn schreibt: „Die Spuren zunehmender wirtschaftlicher Probleme sind nicht zu übersehen.“ Baustellen seien verlassen, Projekte stillgelegt. Es gebe ganze Stadtlandschaften von unvollendeten Bauten. Zudem zeige sich eine sich schnell ausbreitende allgemeine Arbeitslosigkeit, die alle Altersgruppen betrifft. Für Heberer ist die Jugendarbeitslosigkeit eine große Herausforderung. Viele Unternehmen bauten Stellen ab, vor allem im IT-Sektor, Online-Handel und Dienstleistungsbereich, was häufig junge Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen betreffe. Gerade gut ausgebildete junge Menschen verlören gewissermaßen den Mut und das Interesse, weil sie sich komplett chancenlos fühlten. Nicht selten flüchteten sie sich in virtuelle Online-Welten.
Das Fazit von Klaus Mühlhahn, der alles andere als ein China-Basher ist, fällt erschreckend ernüchternd aus: „Tiefgreifende Unzufriedenheit kennzeichnet das China von 2023. Der gebildeten, urbanen Bevölkerungsschicht ist die Frustration über den wirtschaftlichen Abschwung und die Übergriffe der Partei und der Regierung anzumerken. Die Kritik an der Regierung ist unverhohlen, und viele erhoffen sich von einer harten Haltung des Auslands, dass die chinesische Regierung zur Vernunft gebracht oder gestürzt wird. Das China von heute ist ein gespaltenes, unruhiges Land, das einem Pulverfass gleicht.“
Info:
Hier der Beitrag von Klaus Mühlhahn in „Chinapolitan“:
https://cidw.de/images/Newsletter/pdf_newsletter/230704_CHINAPOLITAN_Ein_gespaltenes_Land.pdf
Und hier ein Bericht über den Vortrag von Thomas Heberer: