Fast drei Jahre tobte in China die Pandemie. Kein Land hat bei der Bekämpfung so restriktive Maßnahmen ergriffen wie China. Nun, nach dem abrupten Ende der Beschränkungen stellen sich die Fragen: Was haben diese drei Jahre mit dieser Gesellschaft gemacht, ist sie traumatisiert und wie? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der lesenswerte Artikel „China´s Hollowed-Out Mental Health System“ von der Journalistin Hermine Liu in „Echowall“, einer Forschungsplattform der Uni Heidelberg. Liu stellt folgende Diagnose: „Those three years have had a profound, lingering psychological impact.” Die Gesellschaft unterliege einer post-traumatischen Belastungsstörung (PTSD: post-traumatic stress disorder). Vor allem drei Gruppen seien davon besonders betroffen: das medizinische Personal, Schüler und Studenten. Ärzte und das medizinische Hilfspersonal seien einer enormen Stresssituation ausgesetzt gewesen. Viele waren zur Pandemiebekämpfung abkommandiert worden und fehlten dadurch bei der Behandlung anderer Krankheiten. Zudem kam es häufig zu Konflikten mit Patienten. Gravierend auch die Probleme bei Schülern und Studenten. Viele litten an Depressionen leiden, bei Schülern fast jeder Fünfte. Es komme immer wieder zu Selbstmorden. Studenten hätten den Glauben an die Zukunft verloren. Dieser Pessimismus habe inzwischen viele junge Leute erfasst: „The steep decline in motivating to buy apartments and have children are signs of people´s loss of confidence in the future.” Liu kritisiert, dass in China die drei heftigen Jahre der Pandemie nicht aufgearbeitet würden. Sie schreibt: „Making the past a taboo is a recipe for a hidden mental crisis.” Aber selbst wenn die Bereitschaft zur Aufarbeitung der mentalen Krise da wäre, es fehlt in China an gut ausgebildetem psychologischem Personal. Mentale Gesundheit war lange Zeit ein vernachlässigtes Thema. Erst in den 80er Jahren fing man an, sich damit zu beschäftigen. Erst 2012 gab es ein erstes Gesetz zur mentalen Gesundheit. Aber nur ein Prozent des Gesundheitsetats fließt in psychisch bedingte Krankheiten. Auf 100 000 Chinesen kommen gerade mal 2,9 Psychiater (Zahlen von 2020). Deshalb bekommen nur knapp vier Prozent der Depressionskranken eine Behandlung, die übrigens nur in wenigen Provinzen (Beijing, Guangdong, Jiangsu) von den Krankenversicherungen bezahlt wird. Dabei benötigte man gerade in dieser post-traumatischen Phase der chinesischen Gesellschaft viel mehr Fachpersonal.
Info:
Hier kann man den Artikel„China´s Hollowed-Out Mental Health System“ herunterladen:https://www.echo-wall.eu/inside-china/off/chinas-hollowed-out-mental-health-system