POLITIK I EU und China – Business as usual?

Zwei spannende Wochen, die das europäisch-chinesische Verhältnis prägten, gehen an diesem Freitag mit dem EU-Gipfel zu Ende. Angefangen haben sie mit der Landung des neuen chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang am 18. Juni in Berlin. Er war nicht – wie noch sein Vorgänger Li Keqiang – mit einer Regierungsmaschine unterwegs, sondern mit einem gecharterten Flugzeug. Wichtiger als diese protokollarische Petitesse war freilich, dass dies seine erste Auslandsreise war. Dass dafür Europa auserkoren wurde, zeigt die Bedeutung des alten Kontinents für China. In der Zeit zunehmender Spannungen mit den USA setzt Beijing zunehmend auf Europa, auch in der Hoffnung, dass die EU einen etwas konzilianteren Ton gegenüber China anschlägt. Deshalb fiel wohl mit Deutschland und Frankreich die Wahl auf die beiden wichtigsten EU-Länder, die auch wirtschaftlich am engsten mit China verflochten sind und bei einer Eskalation der Beziehungen am meisten zu verlieren hätten. Wirtschaftliche Themen – auch im Bereich der Nachhaltigkeit – standen deshalb oben auf der Tagesordnung. Deshalb reisten mit Li Qiang auch Zheng Shanjie, der neue Chef der mächtigen National Development and Reform Commission (NDRC) sowie Handelsminister Wang Wentao. Und deshalb traf die Delegation in Berlin mit hochrangigen Vertretern der Wirtschaft zusammen. Am Montag erst in einer kleineren Runde (anwesend waren unter anderem Manager von Siemens, VW; Mercedes Benz, BMW, Schaeffler, BASF, Covestro, Merck, SAP und Allianz), am Dienstag dann in größerer Runde im Rahmen des 11. Deutsch-Chinesischen Forums für wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit. Von Decoupling redete dort niemand mehr, sondern nur noch vom neuen Modewort De-Risking. Aber selbst das ging Li Qiang zu weit. In China zu investieren, sei nicht das Risiko, sondern das Risiko bestehe eher darin, dort nicht zu investieren. Wörtlich sagte er gegenüber den anwesenden CEOs: „Failure to cooperate ist the greatest risk.“ Und dann betont er, dass die Unternehmer und Manager viel besser wüssten, welches Risiko sie eingehen können und welches nicht. Das war ein Seitenhieb an die deutsche Politik, die meint, den Unternehmen darüber Vorschriften machen zu können, wo sie investieren sollen.

Auch in München, wohin die chinesische Delegation am Dienstagnachmittag einen Abstecher machte, standen wirtschaftliche Themen im Vordergrund. Bevor Li Qiang zum Abendessen mit Markus Söder in die Residenz fuhr, war er noch bei BMW und Siemens. Ähnlicher Ablauf in Paris. Am Mittwochabend organisierte Le Comité France Chine – eine Organisation französischer Unternehmen mit Interessen in China – ein Diner mit über 100 Managern und Unternehmern, darunter Top-Manager der großen Konzerne wie L´Oréal, LVMH, BNP Paribas, Sanofi und Thales. Davor ließ sich die Delegation smarte Roboter bei Schneider Electric zeigen. Am nächsten Tag dann die politischen Gespräche mit Emmanuel Macron und Premierministerin Élizabeth Borne, die wie in Berlin ohne große Dissonanzen verliefen. Auch weil strittige Themen (Taiwan, Menschenrechte) ausgeklammert oder nur im stillen Kämmerlein behandelt wurden. Manchem Beobachter war das zu harmonisch. So kommentierte Barbara Pongratz (Merics): „Bei diesen Treffen…sieht es immer noch so aus, als habe sich im Verhältnis zu China nicht viel geändert.“

In China hingegen wurde der Besuch von Li positiv kommentiert. Manche sprachen euphorisch gar von einer chinesischen Charme-Offensive. Wang Yiwei (Politik-Professor an der Renmin Universität) sieht die China-EU-Beziehungen nach dem Besuch „back on the right track.“ „The South Morning Post “ stellte etwas nüchterner und realistischer fest: „Roadblocks remain“. Eines dieser Hindernisse platzierte am 20. Juni – just am Tag der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen – die EU-Kommission, als sie ihr „Konzept zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherheit“ vorstellte. Ein Papier, in dem China nicht einmal erwähnt, aber jedem klar ist, dass es vor allem gegen China gerichtet ist. Ein China, das ein Risik0 darstellt und von dem man sich unabhängiger machen muss. Das Papier trägt die Handschrift der gegenüber China eher konfrontativ eingestellten Ursula von der Leyen.

Das 17-Seiten-Papier war auf der Tagesordnung des EU-Gipfels am 29. und 30. Juni in Brüssel, wo es auch zu einer generellen Aussprache über das Verhältnis zu China kam. Dabei zeigten sich zwei Risse, was den Umgang mit China betrifft. Der eine – und das ist nicht neu – verläuft zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel, der einen eher kooperativen Ansatz verfolgt (Er traf in Paris Li Qiang und sagte dort: „The EU has no intention to contain China´s development, opposes a new cold war and the act of taking sides“). Aber es geht auch ein Riss durch die Mitgliedsstaaten, ganz grob gesprochen zwischen den westlichen (in erster Linie Deutschland und Frankreich) und den östlichen Staaten (vor allem das Baltikum, Polen, Tschechien und Slowakei).

Zu einem öffentlichen Streit kam es nicht. Aber interessant sind die Schlussfolgerungen des Gipfels (so heißt das Kommuniqué im EU-Sprech), in denen China ein ganzes Kapitel gewidmet wird. Nach dem inzwischen obligatorischen Bekenntnis zum sattsam bekannten Dreiklang China als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale, folgen in den nächsten Punkten die kooperativen Elemente. So heißt es dort: „Despite the different political and economic systems, the European Union and China have a shared interest in pursuing constructive and stable relations.” Und einen Abschnitt weiter heißt es erst: “The European Union will continue to engage with China to tackle global challenges…” Und dann: “The European Union and China continue to be important trade and economic partners.” Erst am Schluss werden die Werte erwähnt: “The European Union remains firmly committed to the promotion of respect for Human Rights and fundamental freedom.”

Es sieht so aus, dass sich sich Charles Michel und die beiden Wirtschaftsmächte Deutschland und Frankreich durchgesetzt haben. Also die beiden Länder, die Li Qiang besucht hat. Er kann zufrieden sein.

Info:

Pressemitteilung der Bundesregierung zu den Regierungskonsultationen.

https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/deutsch-chinesische-konsultationen-2197484

Scholz- und Li-Rede vor dem 11. Deutsch-Chinesischen Forum für wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit am Dienstag: https://www.ardmediathek.de/video/phoenix-vor-ort/deutsch-chinesisches-forum/phoenix/Y3JpZDovL3Bob2VuaXguZGUvMzE3NTM2MQ

Pressebegegnung von Scholz und Li am Dienstag: https://www.bundesregierung.de/breg-de/mediathek/pressebegegnung-von-bundeskanzler-olaf-scholz-und-dem-ministerpraesidenten-der-volksrepublik-china-li-qiang-2197502

Das am 20. Juni vorgestellte EU-Konzept zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherheit: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_23_3358

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