YOUNG CHINA HAND I Melina Weber, Influencerin vom Bodensee

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Young China Hand vorgestellt: Melina Weber.

Dieses Porträt erschien zuerst in der neuen Serie „Hirns Köpfe“ auf der Homepage von China Netzwerk Baden-Württemberg (CNBW). Das CNBW ist eine Plattform für Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, die zu einem besseren Verständnis insbesondere zwischen Baden-Württemberg und China beitragen möchte. Mehr unter: https://china-bw.net/de/cnbw

Melina Weber wohnt im schönen Konstanz am ebenso schönen Bodensee. Und trotzdem sagt sie: „Ich will so schnell wie möglich weg, zurück nach China.“ Das hört sich nach Abneigung und Frust an, ist es aber nicht. In Konstanz ist sie aufgewachsen, hier hat sie den größten Teil ihres Lebens verbracht. Sie mag die Region. Der Drang nach China ist eher eine Liebeserklärung an das Land, seine Leute und seine Sprache. Es ist eine unter jungen Leuten eher seltene Liebe zu einem Land, das viele eher als aggressiv und böse empfinden. Sie sagt: „Durch die kritische Darstellung haben junge Leute gar keine Lust, sich mit China zu beschäftigen.“

Sie hat die Lust. Und das kam so: Sie wollte in der Oberstufe des Gymnasiums ihr Englisch verbessern und deshalb ein Jahr ins Ausland gehen. Sie landete hierfür aber nicht in Großbritannien und auch nicht in den USA, sondern – in Kuala Lumpur, der Hauptstadt Malaysias. Rudimentäres Interesse an Asien war da bei ihr schon vorhanden. Ihre erste Gastfamilie in dem Multi-Kulti-Land Malaysia war indischen Ursprungs, die zweite hatte chinesische Wurzeln. Zum ersten Mal kam sie in dieser Familie mit chinesischer Kultur in Berührung. Für die damals 17jährige Melina wirkten die Schriftzeichen nicht abschreckend, sondern sie machten sie neugierig. Sie nahm ersten Sprachunterricht. Nach dem einen Jahr in Malaysia war ihr klar: „Ich will später unbedingt nach China gehen.“

Doch zunächst galt es, das Abi zu machen. Danach studierte sie. Nein, keine Sinologie, sondern International Business im Dualen Studium bei Novartis im Dreiländereck Schweiz, Deutschland und Frankreich. Im vierten Semester ging sie nach Qingdao und reiste viel durchs Land. Danach kam sie staunend zurück: „Diese Reisen haben mir die Augen geöffnet, wie unglaublich schön die Landschaft ist und wie nett die Leute dort sind.“

So ging sie nach Ende des Studiums wieder und immer wieder nach China. Sie versuchte sich als private Englischlehrerin bei einer Familie in Guiyang, machte ein Praktikum bei einer Unternehmensberatung in Taipeh, lernte dort an der National Taiwan Normal Universität weiter Chinesisch. Sie musste ordentlich pauken. Jeden Tag gab es Tests. Doch es lohnte sich: „Danach ging mein Chinesisch durch die Decke“, sagt sie. Trotzdem oder gerade deswegen lernte sie in Beijing weiter, ehe sie dort – nachdem sie in Taipeh schon als Model posiert hatte – einen einjährigen Schauspielkurs in Mandarin an der Filmakademie begann – als einzige Europäerin unter Chinesen. Doch dann kam Corona, und sie ging zurück nach Deutschland an den Bodensee.

Was nun?

Sie begann ein neues Kapitel als Influencerin. Jede freie Minute wurde von ihr genutzt, um Videos auf Mandarin über deutsche Kultur und Küche zu erstellen. Diese Videos sind jetzt auf vielen sozialen Kanälen, sowohl westlichen wie chinesischen, zu finden. Ihr Themenspektrum ist breit: Wie feiert man hierzulande Geburtstag, wie trennt man Müll (18 Millionen Clicks!) oder wie backt man einen Apfelstrudel (der Hit unter den Küchen-Videos). Dafür zog sie auch ein Dirndl an. Denn: „Die Ästhetik ist auf den sozialen Medien unglaublich wichtig“, sagt sie. Ihre Videos spielen auch immer in schönem Ambiente (das rund um den Bodensee fast im Überfluss vorhanden ist) und sind für eine Hobby-Filmemacherin sehr professionell gemacht. Doch das kostet Zeit. Ihre Erfahrungswerte: Ein Kulturvideo braucht fünf Stunden, ein Kochvideo bis zu 18 Stunden und ein Fitnessvideo gar 20 bis 25 Stunden.

Melina Weber versteht sich mit ihren Videos als Brückenbauerin – den Chinesen will sie Deutschland näherbringen und umgekehrt den Deutschen China. Deshalb hat sie neuerdings auf Youtube einen weiteren Kanal gestartet, der „Journey to the East“ heißt, in Anspielung auf den chinesischen Literatur-Klassiker „Die Reise in den Westen“. Dort will sie vor allem Bildungsinhalte vermitteln, wie zum Beispiel das erfolgreiche Erlernen einer Fremdsprache oder das Umgehen von interkulturellen Fettnäpfchen.

Spätestens jetzt stellt sich die existentielle Frage: Kann man davon leben? Sie antwortet: „Ich verdiene derzeit nicht genug mit Social Media.“ Deshalb, aber nicht nur deshalb drängt es sie nach China. Denn dort bieten sich auch für ausländische Influencer mit Chinesisch-Kenntnissen viel mehr Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Teilnahme an TV-Formaten oder Kooperationen mit lokalen Firmen. Allerdings gibt es bereits Konkurrenz aus Deutschland. Afu (Thomas Derksen) und Leo (Tilman Lesche) sind erfolgreiche deutsche Influencer in China. Melina Weber kennt sie und ist auch mit ihnen in Kontakt. Aufgrund ihrer gemeinsamen Leidenschaft unterstützen sie sie ohne großes Zögern.

Spätestens im Herbst will Melina Weber wieder zurückgehen – einen Schritt weiter ins Abenteuer China.

Info:

Hier der Videokanal “Journey to the East“ von Melina Weber: https://www.youtube.com/@JourneytotheEastwithMelina

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