POLITIK I De-Risking – ein Begriff macht Karriere

Es ist De-Day in der internationalen China-Politik. Erst sprach man von De-Coupling, nun heißt das neue Modewort De-Risking. Seit dem 31. März, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre mittlerweile berühmte China-Rede hielt, hat der Begriff De-Risking Einzug in Reden und Communiqués gehalten, zuletzt beim G7-Gipfel in Hiroshima. In ihrer Brüsseler Rede sagte von der Leyen: „Managing this relationship… is a key part of what I would call the de-risking through diplomacy of our relations with China.“ Nun plappern und schreiben fast alle nach, dass sie diesen Begriff erfunden hätte. Sie hat ihn vielleicht populär gemacht, aber kreiert hat sie ihn sicher nicht. Aber wie kam der Begriff in die politische Diskussion rund um China? Die Spurensuche ist nicht ganz einfach. Ich habe da einen Verdächtigen: das Mercator Institute on Chinese Studies (Merics). Weil dieses in persona ihres Direktors Mikko Huotari auf meine Anfrage schweigt, muss ich mit Indizien arbeiten. Huotari und Merics-Kollege Grzegorz Stec veröffentlichten am 24. März in der Zeitschrift „IP Quarterly“ einen Artikel mit der Überschrift „Six Priorities for De-Risking EU Relations with China“. Der Artikel erschien also just eine Woche vor der Von-der-Leyen-Rede, die übrigens in Brüssel von Merics (und dem European Policy Centre/EPC) veranstaltet wurde. Die Frage ist deshalb naheliegend: Hat Merics bei dieser Rede im Vorfeld souffliert? Doch beim weiteren Graben nach dem Ursprung des Begriffs „De-Risking“ stoße ich auf das neue außenpolitische SPD-Papier „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“. Es stammt vom 20. Januar 2023. Dort steht auf Seite 16 im China-Kapitel, dass Decoupling nicht die richtige Antwort sei. „Stattdessen brauchen wir eine europäische Resilienzstrategie (De-Risking).“ Da aber Merics auch die SPD bzw. Huotari deren Vorsitzenden Lars Klingbeil berät, ist es nicht abwegig, dass der Begriff über diese Schiene in das Papier fand, das unter Leitung von Klingbeil erstellt wurde. Man könnte – Konjunktiv! – also schon zu dem Schluss kommen, dass Merics den Begriff in die politische Diskussion eingeführt hat. Erfunden – und das ist gesichert – haben ihn freilich andere. De-Risking ist schon seit längerem ein Begriff in der internationalen Finanzwelt. Die Weltbank definiert ihn so: “Global financial institutions are increasingly terminating or restricting business relationships with remittance companies and smaller local banks in certain regions of the world – a practice that is called “de-risking.” Das Copyright für den Begriff De-Risking gehört also den Bankern und nicht Beratern und Politikern.

Info:

Hier die Von-der-Leyen-Rede vom 30. März: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/speech_23_2063

Der Artikel von Huotari und Stec in IP Quarterly: Artikel: https://ip-quarterly.com/en/six-priorities-de-risking-eu-relations-china

Weltbank über ”De-Risking in the financial sector”: https://www.worldbank.org/en/topic/financialsector/brief/de-risking-in-the-financial-sector

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