OLD CHINA HAND I Matthias Heger – Vom Ökonom zum Gastronom

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old – oder ist es noch eine Young? –  China Hand vorgestellt: Matthias Heger (43).

Es ist kurz nach 12 Uhr an einen Mittwoch im Mai in der Markthalle 9, der kultigen Ess- und Trinkstätte in Berlin-Kreuzberg. Vor dem Stand des Bao Gao Clubs drängeln sich die ersten Kunden. Die Tische davor sind voll besetzt. An einem sitzt Matthias Heger und lässt auftischen: Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen und Saucen, dazu Salate von Kartoffelstreifen und Gurken. Ihm gehört der Bao Gao Club – und er hat damit noch viel vor. Er will seine Teigtaschen nicht nur an diesem Stand verkaufen, sondern sie demnächst auch tiefgefroren vermarkten, erst hier zum Abholen, dann in Delikatessenläden und schließlich über einen eigenen Vertrieb.

Zwischen zwei Bissen erzählt Heger, was er alles vorhat und wie es überhaupt dazu kam, dass er heute hier sitzt und Dumplings verkauft. Um die Jahrtausendwende machte der gebürtige Kronacher seinen Zivildienst in einer Bücherei. „Dort fiel mir ein Buch auf“, erinnert er sich. Titel: „Das rote Reich“. Autor: Patrick Lescot, ex-Korrespondent von AFP in China. Dieses Buch animierte Heger zu seiner ersten China-Reise und zum anschließenden Studium der Regionalwissenschaften China in Köln, verbunden mit China-Aufenthalten in Dalian, Taipeh und Guangzhou. Danach arbeitete er bei der Weltbank-Tochter IFC, der KfW und schließlich bei der GIZ in Beijing. Meist ging es um Energie- und Umweltprojekte in China. Bis 2013 leitete er auch den Deutsch-Chinesischen Energiedialog. Doch noch während seiner GIZ-Zeit gründete er zusammen mit zwei Freunden in Beijing eine Bar, keine x-beliebige, sondern die erste Baijiu-Bar der Welt: „Capital Spirits“. Für die Unwissenden und Anti-Alkoholiker: Baijiu ist DER Schnaps der Chinesen. Mit der Bar in Beijing erfüllte sich Heger einen Traum, denn: „Ich habe zwei große Leidenschaften: Spirituosen und China.“ Er quittiertet seinen Job bei der GIZ und widmete sich voll dem Thema Baijiu. Zusammen drei Freunden startete er eine eigene Baijiu-Marke namens „Ming River“, die auch in Europa und den USA vertrieben wurde und wird. So kam er 2017 nach Berlin und blieb hängen. Hier traf er auf Kachun To, einem Serial Entrepreneur, und Wing-Keong Liew, einem Koch. Gemeinsam setzte sich das Trio an einem Sonntagnachmittag rund fünf Stunden lang hin und kreierte ein Start-Up: ein Lokal für Teigtaschen, für gute Teigtaschen. Sie wollen dabei die gesamte Vielfalt an Teigtaschen mit all ihren regionalen Unterschieden anbieten. Heger: „Neben Gaos (Jiaozi) und Bao (Baozi) produzieren wir auch Wontons und bald auch Xiaolongbao (Soup Dumplings), Cha-siu Bao und auch Dessertbaos.“ Denn – so Heger weiter – „wir haben auch eine Mission: Wir wollen dem chinesischen Essen zu dem Status verhelfen, der ihm gebührt und die echten Geschmäcker Chinas anbieten.“ Sie nannten ihr Start-up Bao Gao Club und starteten erst in ein paar Pop-up Locations in Berlin, ehe sie dann im November 2022 in der Markthalle 9 sesshaft wurden. Dort bieten sie seitdem zwischen 12 und 16 Uhr (donnerstags bis 22 Uhr und samstags bis 18 Uhr) Dumplings, aber auch Nudelgerichte an. Der Laden läuft inzwischen so gut, dass Heger und seine Mitgründer an die nächste Expansionsstufe denken. Um diese zu erklären, führt er in einen kleinen Raum in seinem Stand. An den Seiten stapeln sich Mehltüten. Und mittendrin steht eine ziemlich teure Maschine, die Teigtaschen produzieren kann, 10 000 Stück in der Stunde. Die meisten Teigtaschen sollen erst tiefgefroren und dann verkauft werden. Heger sieht da eine Marktlücke, denn die in den Asia-Läden angebotenen Tiefkühl-Dumplings würden nicht seinem Qualitätsstandard entsprechen. „Wir wollen die besten Teigtaschen Deutschlands machen“, kündigt Heger an. Als Vorbild nennt er das Unternehmen MìLà: „Die haben es geschafft, in den USA eine nationale Marke aufzubauen“. Dies strebt auch der Bao Gao Club an. Aber erst einmal wird der Verkauf von tiefgekühlten Dumplings voraussichtlich ab Herbst in Berlin getestet. Danach soll er systematisch ausgeweitet werden, wenn es gut läuft im Rest-Deutschland und auch in Europa. Heger selbstbewusst: „Markenaufbau können wir.“

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