Am Abend des 2. Mai befasste sich in Bern der Nationalrat – das ist die große Kammer des Schweizer Parlamentes – zwischen zwei so bedeutenden Themen wie dem Tierwohl und dem Gebrauch des Schweizerdeutsch in Ratsdebatten mit der großen Weltpolitik. Es ging um Taiwan. Zur Diskussion und zur Abstimmung stand eine sogenannte Motion (ein parlamentarischer Vorstoß) der außenpolitischen Kommission des Nationalrats. Darin wurde empfohlen, die Zusammenarbeit mit dem Parlament von Taiwan zu verstärken und den wirtschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch mit Taiwan zu vertiefen. Es wurde heftig debattiert, ehe die Motion mit 97:87 angenommen wurde. Sozialdemokraten und Grüne waren dafür, FDP und SVP (Schweizerische Volkspartei) fast geschlossen dagegen. Der Sozialdemokrat Fabian Molina, einer der Initiatoren der Motion, argumentiert: „Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass die Schweiz Solidarität zeigt gegenüber dem demokratischsten Land in der Region. Zudem sollte sich die Schweiz diversifizieren in ihren Beziehungen und nicht alles auf die Karte China setzen.“ FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann kontert: „Taiwan ist international kein souveräner und eigenständiger Staat, es ist ein Teilstaat von China. Deshalb sind uns hier die Hände gebunden.“ SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sagte, das Parlament solle die Außenpolitik dem Bundesrat, also der Regierung, überlassen. Und dieser Bundesrat hat sich im April in einem Bericht ans Parlament weiterhin für die Ein-China-Politik ausgesprochen. In den Schweizer Leit-Medien wird der Beschluss überwiegend kritisiert. In der Weltwoche schreibt Hubert Mooser von einem „fragwürdigen Entscheid“ und fragt rhetorisch: „Wen will man mit dieser Kamikaze-Aktion beeinflussen?“ Für ihn ist das „Ein Schildbürgerstreich, der uns teuer zu stehen kommen kann.“ Georg Häsler kommentiert in der NZZ: „Der Aktionismus stellt die Ernsthaftigkeit der Schweizer Politik in Frage – gegen innen und nach außen.“ Der Nationalrat hätte sich „wie eine Protestversammlung zorniger Studenten“ aufgeführt. Mit diesem Beschluss – so die NZZ – widerspreche der Nationalrat der Ein-China-Politik des Bundesrats. Die NZZ argumentiert damit ähnlich wie die chinesische Botschaft in Bern, die noch am Abend des Beschlusses kurz vor Mitternacht eine Stellungnahme versandte. Darin heißt es, dass das Ein-China-Prinzip die politische Grundlage der bilateralen Beziehungen zwischen China und der Schweiz sei. Und weiter: „Es wird aufgefordert, dass der Nationalrat am Ein-China-Prinzip festhält und damit aufhört, sich in die inneren Angelegenheiten Chinas einzumischen.“
Info:
Hier ist die Debatte im Nationalrat vom 2. Mai:
Und hier die Stellungnahme der Chinesischen Botschaft in Bern: http://ch.china-embassy.gov.cn/ger/dssghd_2/202305/t20230503_11069917.htm