POLITIK I Der Fall Kiel – naiv oder paranoid?

Eine geplante Städtepartnerschaft wird zum Politikum. Am 9. März hat der Hauptausschuss der Stadt Kiel Folgendes (Beschlussvorlage 0196/2023) mehrheitlich beschlossen: „Die Verwaltung wird beauftragt, Gespräche mit der chinesischen Stadt Qingdao zwecks Aufbaus einer Partnerschaft zu führen.“ Die seit 2022 bestehende „Freundschaft“ mit Qingdao soll auf „eine höhere Ebene“ gebracht werden. Kiel und Qingdao sind beides Hafenstädte, beide trugen einst Olympische Segelwettbewerbe aus. Und beide sind wichtige Marine-Stützpunkte. Damit ist für die Militärexpertin Sarah Kirchberger vom ortsansässigen Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) klar, dass sich hinter dem chinesischen Interesse an einer Städtepartnerschaft „mit hoher Wahrscheinlichkeit die Absicht verbirgt, Zugang zu wesentlichen Informationen und Technologien zu zu erhalten, die für die Stärkung des chinesischen Militärs auf See entscheidend sind.“ Das schreibt sie im eiligst gefertigten ISPK Policy Brief Nr. 13.  Und plötzlich schlug die geplante Städtepartnerschaft weite Wellen auch ins Landesinnere und sogar über den großen Teich. „Bild“ titelte gewohnt reißerisch: „Angst vor China-Spionen in der Kieler Förde“. Aus München machte sich Kai Strittmatter auf den weiten Weg nach Kiel, um für die Süddeutsche Zeitung eine Seite-Drei-Geschichte zu recherchieren mit der mahnenden Überschrift: „Augen auf bei der Partnerwahl“. Und wenn die große SZ darüber berichtet, wollte die noch größere „The New York Times“ nicht abseits stehen. Sie nahm sich am 10. Mai dem Thema an und schrieb: „The German port of Kiel and the Chinese port of Qingdao have a lot of things in common. Unfortunately, submarines are among them.“ In den Augen der Kritiker sind die Befürworter einer Partnerschaft wie üblich naiv. Ja, sie wären naiv, wenn sie chinesischen Gästen Zugang zu Werften und Militäreinrichtungen in und um Kiel gewähren würden. Ja, sie wären naiv, wenn sie chinesische Wissenschaftler an Dual-Use-Projekten in Kiel beteiligen würden. Aber hat das ernsthaft jemand vor? Der Würzburger Sinologie-Professor Björn Alpermann kommentiert deshalb auf LinkedIn süffisant: „Liebe Sarah Kirchberger, liebe Süddeutsche Zeitung, auch ich verstehe die Aufregung um eine geplante Städtepartnerschaft zwischen Kiel und Qingdao nicht so ganz. Wie schlecht ist unsere Spionageabwehr eigentlich, dass wir uns vor chinesischen Schulklassen auf Partnerbesuch fürchten müssen?“ Am vergangenen Sonntag, am 14. Mai, fanden in Schleswig-Holstein Kommunalwahlen statt. Erst danach, vermutlich im Juni oder Juli, soll in Kiel final über die Städtepartnerschaft mit Qingdao entschieden werden. 

Info:

https://www.ispk.uni-kiel.de/de/publikationen_neu/ispk-policy-briefs/ISPK_PolicyBrief13.pdf

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