POLITIK I Friedensengel China auf Höhenflug

Am Nachmittag des 26. April hat Xi Jinping endlich bei Wolodymyr Selenskyi angerufen. Rund eine Stunde hat das Gespräch gedauert. Danach twitterte Selenskyi kurz („a meaningful call“), ehe er ein paar Stunden später auf Telegram etwas ausführlicher wurde: „Particular attention was paid to the ways of possible cooperation to establish a just and sustainable peace for Ukraine.” Aber er machte auch klar: “There can be no peace at the expense of territorial compromises. The territorial integrity of Ukraine must be restored within the 1991 borders.“ Darauf ging Xi Jinping allerdings nicht ein. Er blieb im Allgemeinen: „Now would be the time for all sides to talk”. Und: “Now is the momentum to grasp the opportunity to resolve the crisis politically.” Russland nahm das Gespräch nüchtern zur Kenntnis. Und der Westen? Ursula von der Leyens Sprecher erkannte „an important, long overdue first step.” Selbst John Kirby, Sprecher des amerikanischen National Security Council, sagte: “We are glad to see that they talk.” Keine grundsätzliche Verdammung, aber doch eine gehörige Portion Skepsis – so kann man die westliche Reaktion zusammenfassen. 

Es darf gerätselt werden, warum Xi gerade jetzt anrief. In Paris und Brüssel lobt man sich selbst und sagt, der Anruf sei eine Folge des Drucks, den Macron und von der Leyen bei ihrem Besuch kürzlich gemacht hätten. Andere wiederum bringen den Anruf in Zusammenhang mit den unsäglichen Aussagen des chinesischen Botschafters in Frankeich Lu Shaye, der den Ländern der ehemaligen Sowjetunion „einen effektiven Status nach internationalem Recht“ abgesprochen hatte. Es folgte eine Empörungswelle in Europa. Wollte Xi mit seinem Anruf die Wogen glätten? Und da gibt es noch die Version, dass sich China als Peacemaker profilieren wolle. In der Tat: Chinas Führung ist gerade auf einem Höhenflug als Friedensengel. Um zu verstehen, warum China in diese Rolle schlüpft, sollte man die Rede Xi Jinpings beim Boao Forum am 21. April 2022 studieren, wo er die „Global Security Initiative“ (GSI) vorstellte. Darin ist auch der Satz zu finden: “We stay committed to peacefully resolving differences and disputes between countries through dialogue and consultation, support all efforts conducive to the peaceful settlement of crises.” China bietet sich als Problemlöser regionaler Konflikte an. Ein erster Erfolg dieser Politik zeigte sich Mitte März dieses Jahres als Wang Yi, Chinas oberster Außenpolitiker, in Beijing sichtlich zwischen zwei Falken – dem iranischen Sicherheitschef und dem saudischen Sicherheitsberater – posierte und verkündete, dass die verfeindeten Länder wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen wollen. Die westliche Welt schaute neidisch-irritiert auf diesen Coup der Chinesen, den sie da klammheimlich eingefädelt hatten. Gerade im Nahen Osten nutzt China geschickt das Vakuum, das die Amerikaner hinterlassen haben. Und schon wagen sie sich dort an den nächsten Friedens-Auftrag. Am 17. April führte Außenminister Qin Gang zwei Telefonate – erst mit seinem israelischen Amtskollegen Eli Cohen, dann mit dem palästinensischen Außenminister Riad al-Maliki. Beide ließ er wissen, dass China für eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen sei – und zwar „as soon as possible“. China wolle dabei eine „aktive Rolle“ spielen. Und dann sagte Qin: „It is never too late to do the right things“. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist sicher einer der kompliziertesten in der Weltpolitik. Ist das nicht eine Nummer zu groß für China? Die Begeisterung der Konfliktparteien jedenfalls hielt sich in Grenzen. Al-Maliki sagte nur pflichtschuldig, China sei eine verantwortungsbewusste Großmacht. In Israel antwortete Regierungschef Benjamin Netanjahu persönlich in einem CNBC-Interview (19. April) auf die Frage, was er vom Gesprächsangebot der Chinesen halte: „I´m not aware of any specific offer of this kind. Look, we respect Chinas, we deal with China a great deal. But we also know we have an indispensable alliance with our great friend the United States.”  China wird sich nicht entmutigen lassen. Zhai Jun, Chinas Sonderbeauftragte für den Nahen Osten, wird weiterhin durch die Region touren.

Ebenfalls auf Tour wird bald der chinesischen Friedensemissär im Ukraine-Krieg gehen. Der Mann heißt Li Hui. Der 69-Jährige ist derzeit Sonderbeauftragter für Eurasien. Interessanter ist seine vorige Funktion: Von 2009 bis 2019 war er chinesischer Botschafter in Russland. Er kennt das Land, er kennt Putin, der ihm sogar einen Freundschaftsorden verliehen hat. Kann so jemand vermitteln? Nein, sagen die einen. Er sei parteiisch. Gut, dass er Kontakte in den Kreml hat, sagen die anderen. Wann Li nach Kiew fahren wird, ist noch nicht klar. Aber er werde auf jeden Fall auch andere Staaten besuchen, heißt es im chinesischen Außenministerium. Ob Chinas Friedensengel letztlich Erfolg haben werden, steht aber in den Sternen, also dort, wo sich Engel gemeinhin befinden.

Info:

Statement von Selenskyi auf Telegram vom 26. April: https://t.me/V_Zelenskiy_official/6006

Mitteilung des ukrainischen Präsidentenbüros nach dem Telefonat: https://www.president.gov.ua/en/news/vidbulasya-telefonna-rozmova-prezidenta-ukrayini-z-golovoyu-82489?utm_source=substack&utm_medium=email

Hier das Readout des chinesischen Aussenministeriums: https://mailchi.mp/7672c93323be/01042021-china-mfa-press-conference-13841650?e=f17b2cd584&utm_source=POLITICO.EU&utm_campaign=b1b8b7966e-EMAIL_CAMPAIGN_2023_04_27_04_23&utm_medium=email&utm_term=0_10959edeb5-b1b8b7966e-%5BLIST_EMAIL_ID%5D

Xi-Rede zur Global Security Initiative (GSI) auf dem Boao Forum im April 2022: https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/zxxx_662805/202204/t20220421_10671083.html

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