POLITIK I Besuch eines fernen Verwandten – Brasilien

Kurze Zeit wurde diskutiert: Kommt er oder kommt er wieder nicht? Wegen einer Lungenentzündung musste Brasiliens Präsident Lula bereits Ende März seine China-Reise absagen. Nun machte er einen zweiten Anlauf. Und was passiert? Ein Sandsturm fegte im Vorfeld seiner neu angesetzten Reise durch Beijing, was natürlich Gift für den angeschlagenen 77-jährigen Staatsmann gewesen wäre. Doch der Sturm verzog sich, und Lula landete am Mittwochabend (12. April) um 22.20 Uhr erst einmal in Shanghai. Über 30 Stunden hatte sein Flug von Brasilia aus unterwegs, die Maschine – die Brazilian Air Force One ist „nur“ eine A319 – musste zweimal zwischenlanden. Am Flughafen empfing ihn seine alte Weggefährtin Dilma Rousseff auf ihn, die ehemalige Präsidentin. Sie wohnt und arbeitet seit kurzem in Shanghai. Und dies war auch der Grund, warum Lula erst in Shanghai landete. Denn am nächsten Morgen wurde Rousseff offiziell in ihr neues Amt eingeführt. Sie ist nämlich neuen Präsidentin der New Development Bank (NDB), einer Entwicklungsbank der BRICS-Staaten mit Sitz in Shanghai (siehe das folgende CHINAHIRNLexikon). Bei ihrer Amtseinführung hielt Lula eine Rede, in der er den Dollar attackierte, indem er zwei rhetorische Fragen stellte: „Warum können wir nicht in unseren eigenen Währungen handeln? Wer hat entschieden, dass es der Dollar ist?“ In diesem Sinne tickt Lula wie seine chinesischen Gastgeber. Deshalb haben sich beide Länder schon Ende März darauf verständigt, mehr Handel in den beiden Landeswährungen zu ermöglichen.

China ist seit 2009 Brasiliens größter Handelspartner. Seit 2001, seit Lulas erstem Besuch in China, ist das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern um das 21fache gestiegen. Brasilien liefert Rohstoffe (Soja, Eisenerz und Öl sind die drei wichtigsten), China Industrieprodukte. Den Handel mit China noch weiter zu steigern, war das primäre Ziel von Lulas China-Reise. Die Analystin Alicia García-Herrero schrieb in der „Asia Times“: “His goals are clear: first and foremost, bringing growth opportunities to Brazil.“ So war es nicht verwunderlich, dass an seiner großen begleitenden Entourage neben sieben Ministern und fünf Gouverneuren auch über 200 Unternehmen und Manager beteiligt waren. Vor allem die Agrarwirtschaft war gut vertreten, allein zehn Manager waren vom weltgrößten Fleischproduzenten JBR dabei.

Sie konnten zufrieden sein, denn am Freitag wurden in Beijing, wohin Lula am Donnerstagnachmittag geflogen war, 15 Abkommen in den Bereichen Handel, Finanzen, Raumfahrt und Wissenschaft unterzeichnet. So wird zum Beispiel Chinas aufstrebender Autokonzern BYD, dessen Chef Wang Chuanfu Lula in Shanghai traf, ein stillgelegtes Ford-Werk in Bahia übernehmen. Außerdem ist der Bau einer Fabrik für das gemeinsame Satellitenmodell Cbers-6 geplant. Und den Fleischbaronen wurde versprochen, dass sie mehr Produkte nach China liefern können.

Das waren die wirtschaftlichen Erfolge des Lula-Besuches. Aber genauso wichtig war dessen symbolische Bedeutung. Lula wurde am Freitag mit militärischen Ehren empfangen. 21 Salutschüsse wurden vor der Großen Halle des Volkes Globale abgegeben. Der Politologe Oliver Stuenkel (Getulio Vargas Stiftung) kommentierte in „Americas Quarterly“ schon vor Lulas Reise: “A pompous reception in China, will help Brazil signal to the United States that it has other options.” Aber der pompöse Empfang sei – so Struenkel weiter – auch ein Signal an die Europäer, die seit Jahren kein Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay) zustande bringen: “In Europe, too, Lula´s trip will be used by supporters of the EU-Mercosur trade deal as an argument that the European Union must quickly lock in the agreement to put an end to the bloc´s declining political influence in the region.”

Doch nicht nur Lula war der Gewinner der Reise, sondern auch die chinesischen Gastgeber. Sie konnten stolz darauf verweisen, dass – wie sie es nennen – die beiden größten Entwicklungsländer des Ostens und des Westens zusammenarbeiten können. Xi Jinping sagte: „China sees the relationship as a high priority on its diplomatic agenda.“ Lula erwiderte: „Niemand wird Brasilien daran hindern, seine Beziehungen zu verbessern.“ Durch die engere Kooperation ist auch der BRICS-Staatenverbund gestärkt worden. Günther Maihold (Stiftung Wissenschaft und Politik) wird von der „Deutschen Welle“ zitiert: „Die BRICS-Staaten erleben gerade ihren geopolitischen Moment“. Sie positionierten sich “als Gegenmodell zu den G7“. Das sei aber nicht notwendigerweise eine antiwestliche Konstellation, denn: „Südafrika, Indien und Brasilien wollen sich zwischen den Welten bewegen.“  Dieser Meinung ist auch Struenkel: „Lula signalisiert mit seiner Reise, dass er an seiner Vision der Blockfreiheit festhält – und Bande mit allen schmiedet.“ Er lässt sich weder von den USA noch von China vereinnahmen.

Info:

Wie Xinhua die Reise sieht: http://www.china.org.cn/world/2023-04/15/content_85231090.htm

Joint Statement zum Klimawandel: https://www.gov.br/mre/en/contact-us/press-area/press-releases/brazil-china-joint-statement-on-combating-climate-change

Hier der Artikel von Oliver Struenkel in “Americas Quarterly“:

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