Die Bedeutung der Besuche wird in Minuten gemessen: Wie lange dauern die Gespräche mit Xi Jinping? Spaniens Premier Pedro Sánchez bekam 45 Minuten, Frankreichs Emmanuel Macron fünf bis sechs Stunden, Ursula von der Leyen durfte nur zusammen mit Macron bei Xi antreten, und Annalena Baerbock erst gar nicht, was nicht verwundert, denn sie ist ja nur Außenministerin. Unter den Besuchern aus Europa der vergangenen Tage sticht Macron nicht nur wegen seines überlangen Tête-à-Tête mit Xi hervor. Er war der europäische Stargast, der hofiert wurde: Militärische Ehren, Salatschüsse, Bankett in der Großen Halle des Volkes. Und dann noch das informelle Meeting mit Xi in Guangzhou. Solche Treffen abseits des Protokolls und außerhalb Beijings gewährte Xi bislang nur Barack Obama und Narendra Modi. Beijing setzt in Europa auf Macron. Nicht auf Scholz, und erst recht nicht auf Ursula von der Leyen. Sie wurde in Beijing geradezu gedemütigt, wurde bei der Ankunft fast wie ein gewöhnlicher Tourist behandelt und während Macron tafelte, anderswo abgespeist. Ich frage mich, wer auf die Idee kam, von der Leyen im Schlepptau Macrons mitreisen zu lassen. Nach ihrer kritischen China-Rede, die Beijing missbilligte, war doch klar, dass sie so behandelt wurde. Und das Auftreten des ungleichen Paars machte auch deutlich, wie weit die EU von einer gemeinsamen China-Politik entfernt ist. Hier der gegenüber China verständnisvolle Macron, der mit 53 Top-Managern – von Airbus über EDF bis L´Oréal – anreiste und jede Menge Deals unterschrieb. Dort die eher gegenüber den USA verständnisvolle von der Leyen, die für eine Neuausrichtung der Beziehungen zu China plädierte.
Die Differenzen wurden dann noch deutlicher, als Macron an Bord der „Cotam Unité“ den Reportern von „Politico“ und „Les Echos“ das inzwischen berühmte Interview gab, in dem er sic hn erneut für eine strategische Autonomie Europas einsetzte („l´autonomie stratégie doit être le combat de l´Europe“), sich gegen einen Vasallen-Status aussprach („It is crucial for the European nations to avoid becoming vassals when Europe can be the third poll vis-à-vis the United States and China“) und Zurückhaltung in der Taiwan-Frage äußerte („Do we have an interest in an acceleration of the Taiwan issue? No.“).
Und wo steht die deutsche Regierung? Annalena Baerbock vermied bei ihrem zweitägigen Besuch, direkt auf Macrons Äußerungen einzugehen. Sie begann ihre Reise in Tianjin, besuchte am ersten Tag eine Schule, in der Deutsch gelehrt wird, und den deutschen Windkraftanlagen-Hersteller Flender. Am nächsten Morgen fuhr sie mit ihrem Kollegen Qin Gang im Schnellzug ins 110 Kilometer entfernte Beijing und bedankte sich artig bei der Ankunft: „Danke für den freundlichen Empfang und die rasante Zugfahrt.“ Später am Tag war es dann aber vorbei mit den Nettigkeiten. Bei einer Pressekonferenz im Gästehaus der Regierung kritisierte Baerbock deutlich Chinas Politik Richtung Taiwan („ein militärischer Konflikt wäre ein Horrorszenario“), und sie forderte mehr Druck Chinas auf Putin („Ein Mann kann diesen Krieg morgen beenden. Und kein anderes Land hat so viel Einfluss auf Russland wie China“). Qin Gang antwortete, dass China keine Lehrmeister aus dem Westen brauche. Später sagte er etwas milder gestimmt: „Wir sind Partner, wir sind keine Gegner.“
Im Spannungsfeld dieser Einschätzung Chinas zwischen Partner und Gegner – manche sagen auch Rivale – bewegt sich die europäische China-Politik. Die Reisen der vergangenen Tage haben klargemacht, dass Europas Regierungen und die EU-Kommission sehr unterschiedlich positioniert sind.
Info:
Ausschnitte aus der Pressekonferenz der Außenminister Baerbock und Qin:
Schriftliches Statement Baerbocks vor Abreise nach Asien: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/asien/baerbock-china-suedkorea-japan/2592730
Tagesthemen-Interview Baerbock: https://www.tagesschau.de/inland/baerbock-china-interview-101.html
Macron-Interview mit Politico und Les Echos: https://www.politico.eu/article/emmanuel-macron-china-america-pressure-interview/
Joint Declaration China-Frankreich: https://www.elysee.fr/emmanuel-macron/2023/04/07/declaration-conjointe-entre-la-republique-francaise-et-la-republique-populaire-de-chine?utm_source=substack&utm_medium=email