HU IS HU I Daniel A. Bell – Politikwissenschaftler, der das “Modell China” preist

Eigentlich wollte Daniel A. Bell Eishockeyspieler werden. Da er in Montreal geboren wurde, natürlich am liebsten beim heimischen NHL-Team der Montreal Canadiens. Inzwischen ist Bell 58 Jahre alt und man kann rückblickend feststellen, mit der sportlichen Karriere auf dem Eis ist es nichts geworden. Aber auf glattem Eise bewegt er sich – im übertragenen Sinne gemeint – trotzdem öfter. Zum Beispiel mit seinen Thesen über das politische System Chinas, das er nicht – wie viele im Westen – verdammt. Im Gegenteil: Bell sieht durchaus auch Vorteile im meritokratischen System Chinas. Besonders in seinem 2015 erschienenen Buch „The China Model“ vertrat er ausführlich erklärend diese These. Untertitel: „How China´s political model could prove to be a viable alternative to Western democracy.” Wer so etwas behauptet, eckt im Westen an. Aber ihn kümmert das nicht. Der Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Politische Theorie hat sein gesamtes akademisches Leben im chinesischen Raum verbracht und kennt das System besser als die meisten seiner Kritiker.

Wie er überhaupt nach und zu China kam? Bevor er antwortet, fragt er erstmal zurück: „Do you want the rational story or the true story?“ Zuerst die wahre Geschichte: Er traf während seines Studiums in Oxford auf eine chinesische Kommilitonin, die er nach dem Studium heiratete. Seit 2020 ist das Paar zwar geschieden, aber Bell hatte durch diese Beziehung auch seine Liebe zu China entdeckt. Nun zur rationalen Story, die er inzwischen nach der Scheidung erzählt: Seine Doktorarbeit in Oxford beschäftigte sich mit dem Kommunitarismus, einer westlichen politischen Philosophie, die die Verantwortung des Individuums gegenüber seiner Umgebung und sie soziale Rolle der Familie betont. Als er nach seiner Promotion in Oxford seinen ersten akademischen Job in Singapur antrat, entdeckte er den Konfuzianismus und war erstaunt: „Confucianism has a lot in common with communitarism themes.“ Allerdings habe der Konfuzianismus eine viel reifere und reichere Tradition. Aber für Bell war klar: Der Konfuzianismus ist und wird sein Thema, zumal dieser wieder einmal eine Renaissance in China erfahren hat. Und ihm war auch klar: „It made sense to move to China to learn about these debates”. So trieb er sich in seiner akademischen Karriere im chinesischen Raum herum – in Beijing, Shanghai, Hongkong, wo er seit kurzem wieder den Chair of Political Theory an der University of Hong Kong hat. Davor war er fünf Jahre lang – von Januar 2017 bis Januar 2022 – Dean an der School of Political Science and Public Administration an der Shandong University in Qingdao. Das war ein Novum: Er war der erste Dean an einer chinesischen Uni – und das auch noch in einem so sensiblen politischen Fach.

Seine Erfahrungen dort hat er in einem soeben erschienen Buch verarbeitet: „The Dean of Shandong – Confessions of a Minor Bureaucrat at a Chinese University“. 

Wer als Westler einen so exponierten Job bekommt, muss sich Fragen gefallen lassen, warum er diesen Job bekommen hat. Bell antwortet in der Einleitung seines Buches: „I was appointed dean not because of a commitment to China´s official Marxism ideology but rather because of my scholarly work on Confucianism.” Er versucht den Spagat, indem er den Westen wie auch China kritisiert. Zuerst klagt er den Westen an: „I worry about the demonisation of China and especially of the political system.” Aber dann spricht er auch von “worrisome developments in Chinese politics over the past decade or so. The CCP – to a certain extent – has become more repressive at home and more aggressive abroad”.  Gleichwohl will er nicht mehr zurück nach Kanada oder woanders im Westen. Er hat inzwischen eine chinesische Green Card und liebäugelt mit der chinesischen Staatsbürgerschaft: „I will stay here forever or, to be more precise, until I die.”

Info:

Hier geht es zu seinem neuen Buch: https://press.princeton.edu/books/hardcover/9780691247120/the-dean-of-shandong#preview. Darin ist auch die Einleitung abgedruckt, aus der ich hier zitiert habe.

Sein 2015 erschienenes Buch „The China Model“ kam ebenfalls bei Princeton University Press heraus, hat 336 Seiten und kostet 30,95 $.

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