März und April sind die Monate, in denen in China viele junge Leute eingestellt werden. Auf Chinesisch heißen deshalb diese Monate jinsan yinsi (goldener März, silberner April). Doch so silbern, geschweige denn golden sind diese Monate dieses Jahr nicht: Derzeit suchen besonders viele junge Menschen einen ersten Job. Allein 11,58 Millionen Chinesen verlassen dieses Jahr die chinesischen Hochschulen. Sie stoßen auf dem Arbeitsmarkt auf die Abgänger vom letzten Jahr – von diesen haben 45 Prozent immer noch keinen Job. Die Jugendarbeitslosigkeit ist aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage nach den Pandemie-Jahren hoch. Fast jeder fünfte Jugendliche ist ohne Arbeit. Im März betrug die Arbeitslosenrate unter den 16- bis 24-Jährigen 18,1 Prozent.
Wie Nachfrage und Angebot auseinanderklaffen, kann man bei den Recruiting-Messen sehen, die in diesen Tagen in vielen Städten stattfinden und -fanden. Zum Beispiel in Shanghai. Dort fand Mitte März auf dem Campus der Polytechnischen Universität eine der größten Jobmessen der Stadt statt. Schon vor Öffnung harrten Zehntausende im strömenden Regen aus, um unter den Ersten zu sein und möglicherweise einen der 37 000 angebotenen Jobs zu ergattern. Aber allein in Shanghai kommen dieses Jahr 236 000 Uni-Abgänger zusätzlich auf den Arbeitsmarkt.
Viele suchen Jobs in den großen Städten und auch in bestimmten Branchen, vor allem in der Hightech-Industrie. Aber selbst dort wurde in den vergangenen Monaten eher entlassen als eingestellt. Nicht anders sieht es im Staatsdienst aus. Plötzlich sind die Beamtenjobs, obwohl schlechter bezahlt als die der Privatwirtschaft, wieder begehrt. Alfred Wu, Arbeitsmarktexperte der National University of Singapore, sagt: “Young people and fresh graduates will likely be more attracted to stable iron rice bowls´ jobs, because working for the government is a safer bet.” Doch selbst diese Jobs sind heiß begehrt: Im Staatsdienst bewerben sich aktuell 7,7 Millionen Chinesen auf 200 000 Jobs.
Die jungen Arbeitssuchenden können und dürfen nicht mehr wählerisch sein. Das war auch der Tenor auf dem Nationalen Volkskongress, der Anfang März stattgefunden hat. Dort war das Beschäftigungsproblem gerade bei Jugendlichen ein großes Thema. Die Abgeordnete Wang Hong sagte gegenüber „Sixth Tone“ sinngemäß, dass ein Hochschulabschluss nichts Besonderes mehr sei. Die Absolventen könnten nicht mehr erwarten, dass sie ihren Traumjob bekommen. Sie empfahl ihnen statt in die großen Städte zu gehen (oder dort zu bleiben) lieber wieder zurück in die Heimat zu gehen. Denn dort würden sie mehr gebraucht.
Viele der jungen Arbeitssuchenden sind frustriert oder flüchten sich in den Sarkasmus. So kommt in den sozialen Medien urplötzlich eine Figur namens Kong Yiji wieder zu Ehren. Er stammt aus einer Kurzgeschichte des berühmten Schriftstellers Lu Xun. Die Story spielt gegen Ende der Qing Dynastie in einer Kneipe der fiktiven Stadt Luzhou. Dort ist der verarmte Gelehrte Kong häufiger Gast, wird aber von den anderen Gästen mitleidig verspottet. Für viele junge Hochschulabsolventen ist diese traurige Gestalt zur Symbolfigur geworden. Im „Merics China Essentials“ (6. April) ziehen die Autoren Parallelen zwischen früher und heute: „Lu Xuns Figur Kong Yiji ist, so die Interpretation der Kurzgeschichte, vor allem Opfer eines „kannibalistischen“ Feudalsystems. Er geht am Ende zugrunde, nachdem ihm wegen eines Diebstahls die Beine gebrochen werden. Durch die Identifikation mit diesem traurigen literarischen Schicksal wollen auch Chinas junge Netizens wohl darauf hinweisen, dass ihre Arbeitslosigkeit nicht auf individuelles, sondern auf strukturelles Versagen zurückzuführen ist.“