Josep Borrell, der „EU-Außenminister“, legt immer die gleiche Platte auf, wenn er auf die europäische Position im Dreiecksverhältnis EU-China-USA angesprochen wird: Frank Sinatras „My Way“. Die EU solle ihren eigenen Weg gehen. Sie solle ihre eigene, unabhängige Position gegenüber China entwickeln, unabhängig auch von den USA. Diese Sinatra-Nummer – in Diplomaten-Kreisen bereits als „Sinatra-Doktrin“ bekannt – wiederholte der Spanier kürzlich (24. März), als er ein paar Journalisten in Brüssel ein Interview gewährte. Darin sagte er etwas verquer (was vielleicht auch an der Übersetzung lag): „Europa wird nie gleich weit von China entfernt sein wie von Peking, weil wir dasselbe Wirtschaftsmodell haben. Eine Sache ist, nicht gleicht entfernt zu sein, die andere ist, zu verstehen, dass wir unsere eigenen Interessen haben.“ Das ist in Brüssel derzeit die große Frage: Soll die EU gegenüber China mehr ihre eigenen Interessen verfolgen oder mehr der China-Politik der USA folgen? Diese Frage spaltete die EU-Bürokratie aber auch die EU-Mitgliedsländer. Das gut informierte Newsportal „Politico“ titelte am 13. März „Biden splits EU´s top ranks over China“. Darin wird von einem wachsenden Druck Joe Bidens auf Brüssel berichtet, einen härteren Kurs gegenüber Beijing einzuschlagen. Andererseits wird ein hoher EU-Beamter anonym zitiert: „Yes, we are a partner of the United States, but we are not a vasall state. We believe that we must not completely decouple from China.” In gewissen Brüsseler Kreisen sei man – so „Politico“ – besonders mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyens Auftreten kürzlich in Washington unzufrieden, als sie sich zu stark Joe Biden andiente. Diese Haltung zeigte sich auch bei der Grundsatzrede von der Leyens am 30. März in Brüssel, wo sie eine „härtere Gangart“ (Neue Zürcher Zeitung) gegenüber China forderte. Sie wiederholte ihre Forderung nach einem De-Risking, was vor allem eine „Minderung des wirtschaftlichen Risikos“ bedeute. Sie redet von Stresstests, neuen Abwehrinstrumente und Investititionskontrollen – alles Werkzeuge aus dem amerikanischen Instrumentenkasten. Emily Rauhala, Brüsseler Bürochefin der Washington Post, kommentierte via Twitter: „Her speech is much more in line with the U.S. position than it is in line with where much of Europe stand.“ EU-Ratspräsident Charles Michel zum Beispiel will diesen Schmusekurs gegenüber den USA nicht mitfahren. Er tritt konzilianter gegenüber China auf. Der unterschiedliche Umgang mit China ist nur ein Streitpunkt der beiden höchsten EU-Repräsentanten von der Leyen und Michel. Es ist bekannt, dass die beiden sich nicht besonders mögen und eifersüchtig darüber wachen, dass keine(r) zu beliebt wird. Wie groß deren jeweilige Bataillone in Sachen China-Strategie sind, ist schwer einzuschätzen. Borrell jedenfalls tickt eher wie Michel. Etwas unerwartet bekamen die Sinatra-Fans Unterstützung von António Guterres, der am 23. März als Gast beim EU-Gipfel vorbeischaute. Der UN-Generalsekretär bat die Regierungschefs, China nicht zu isolieren. Eine solche Strategie sei riskant, weil sie China in eine Ecke treibe. Und dann sprach Guterres fast im Stile eines chinesischen Außenministers: „Beijing had a positive view of Europe and wished to maintain good relations.“ Nicht anders redet Chinas neuer – seit Dezember im Amt befindlicher – EU-Botschafter Fu Cong, der ständig für bessere Beziehungen trommelt und sich für das chinesisch-europäische Investitionsabkommen CAI (Comprehensive Agreement on Investment) einsetzt. Dieses bereits von höchster Ebene ausgehandelte Abkommen liegt im Europäischen Parlament, das sich aber wegen Chinas Sanktionen gegen diverse europäische Personen (Reinhard Bütikofer) und Institutionen (Merics) nicht damit beschäftigen will. Fu hat bereits angedeutet, dass China seine Sanktionen zurücknehmen könnte, wenn wiederum die EU ihre Sanktionen (gegen chinesische Politiker, die in die Unterdrückung der Uiguren involviert sind) aufgibt. Von der Leyen sprach nun von einer Neubewertung des CAI, was immer das heißt. Noch gibt es wenig Bewegung zwischen der EU und China, zumal es auch in den vergangenen Monaten und Jahren wenig persönlichen Austausch unter den Politikern gegeben hat. Doch das wird jetzt nachgeholt. Derzeit beginnt eine rege Reisetätigkeit europäischer Politiker nach China, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Diese Woche ist Spaniens Premier Pedro Sánchez dort, erst beim Boao-Forum auf Hainan, dann in Beijing. Ihm folgt am 4. April Emmanuel Macron, der Beijing und Guangzhou besuchen wird. Interessant ist seine Begleiterin: Ursula von der Leyen. Da wird es schon auf dem Flug einiges zu besprechen geben, denn Macron wie auch Scholz und Sánchez teilen nicht unbedingt von der Leyens harten Kurs. Mitte April reist dann Annalena Baerbock zum ersten Mal nach China – wahrscheinlich mit Josip Borrell. Die beiden machen in Shanghai einen Zwischenstopp auf dem Weg zum G7-Treffen der Außenminister in Japan (16. bis 18. April in Karuizawa, Nagano). Ob Borrell dann der China-kritischen Baerbock wieder mit der Sinatra-Nummer kommt? Er wird auch musikalisch auf taube Ohren stoßen, denn sie steht mehr auf Pink Floyd.
Info:
Das Interview Josep Borrells in der Version von Euractiv: :
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POLITICO-Artikel vom 13. März: https://www.politico.eu/article/joe-biden-european-union-china-policy-hawkish-stance-beijing-xi-jinping-von-der-leyen/
Die Rede von Ursula von der Leyen vom 30. März im deutschen Wortlaut: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/speech_23_2063
Und hier ist ein Video von der Brüsseler Veranstaltung des European Policy Centre und Merics (Von der Leyens Rede beginnt in Minute 19):