WIRTSCHAFT I Viel Taktik um TikTok

Da saß er nun im dunkelblauen Anzug ganz alleine an einem langen Tisch. Vor ihm eine Armada von Fotografen, die ein Blitzlichtgewitter über ihm entfachte. Tik-Tok-Chef Shou Chew (40) ließ es über sich ergehen. Die Schüsse der Kameras waren noch harmlos im Vergleich zu den Wortsalven, die ihm im Verlauf des weiteren Morgens von Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses entgegengeschmettert wurden.

Am Morgen dieses 23. März war Chew zu einem Hearing vor dem House Energy and Commerce Committee geladen. Es ging um den besonders bei jungen Leuten beliebten Videokanal TikTok. Er gehört dem chinesischen Konzern ByteDance. Die US-Abgeordneten fürchten deshalb, dass via TikTok persönliche Daten der User nach China gelangen könnten und umgekehrt China die amerikanischen User manipulieren könnte. Außerdem müssten Privatsphäre und Gesundheit der US-Jugendlichen geschützt werden. Deshalb das Hearing.
Es war freilich kein Hearing, keine Anhörung. Es war eher ein Verhör des Angeklagten Chew. Das wurde schon beim Eingangsstatement der Ausschussvorsitzenden Cathy McMorris Rodgers klar. Die Republikanerin aus dem Bundesstaat Washington verlas über sechs Minuten eine Anklageschrift. Ihr erster Satz lautete: „TikTok surveils us all.“ Ein paar Sätze später forderte sie: „Your platform should be banned.“ Und zum Schluss sagte sie, egal was TikTok sagt: „We´re not buying it.“

Und so konnte Chew – der in Singapur geboren und aufgewachsen ist, später in Harvard seinen MBA machte und deshalb ein gutes Englisch sprach – sagen, was er wollte, man glaubte ihm nicht. Er beteuerte: „Let me state this unequivocably: ByteDance is not an agent of China or any other country.” Der Republikaner Jay Obernolte hielt ihm entgegen: „You are not trusted here.“ Beweise wurden von beiden Seiten nicht vorgelegt, musste man auch nicht, man ist ja nicht vor Gericht. Es reichten Vermutungen und Verdächtigungen. Und von denen gab es jede Menge. Auch wurde wenig reflektiert, dass auch die US-Konkurrenz das tut, was TikTok vorgeworfen wird, nämlich mit Kurzvideos Jugendliche zu manipulieren. Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentierte richtig: „Keinem der Beteiligten dürfte es um Datenschutz oder die ach so zarten Seelen von Teenagern gehen. Sondern um knallharte politische und wirtschaftliche Interessen.“ Der Streit um TikTok ist Teil des Technokrieges zwischen den USA und China. Am Ende des Hearing-Marathons war deshalb klar, was vorher schon klar war: TikTok hat keine Chance mehr in den USA.

Jetzt ist Präsident Joe Biden an der Reihe. Er steht vor der Wahl: verbieten oder verkaufen? ByteDance wird TikTok in den USA nicht verkaufen. Sie werden der amerikanischen Konkurrenz nicht den Gefallen tun, ihnen quasi auf dem Silbertablett TikTok und seine überlegene Technologie zu überlassen. Deshalb ist das Verbieten die wahrscheinlicher Variante. Das wäre finanziell ein herber Verlust für ByteDance, kassierte doch ihre Tochter TikTok im vergangenen Jahr sagenhafte elf Milliarden Dollar an Werbeeinnahmen in den USA. Aber es wäre auch für die Demokraten möglicherweise ein Verlustgeschäft, denn viele der TikTok-User in den USA – wir reden von 150 Millionen – könnten die Partei bei der nächsten Wahl abstrafen, weil sie ihnen eines ihrer liebsten Spielzeuge weggenommen habe.

Interessant auch die Frage bei einem Verbot: Wird es Gegenmaßnahmen von Seiten Chinas geben? Facebook oder Youtube kann China nicht verbieten, weil es diese Plattformen im eigenen Lande nie zugelassen hat. Deshalb US-Firmen anderer Branchen abstrafen? Apple oder gar Starbucks zum Beispiel? Das hat China schon beim Verbot von Huawei nicht gemacht und wird es wohl auch bei einem TikTok-Verbot nicht machen, obwohl es in Chinas sozialen Medien gefordert wird, wo übrigens der tapfere Chew als Held (“what a gentleman“) gefeiert wird. Chinas neue Regierung ist ja gerade wieder auf dem Trip, ausländische Investoren zu umgarnen. Ein Verbot irgendwelcher US-Firmen wäre da kontraproduktiv.

So bleibt als allerletzte Frage: Welches chinesische Unternehmen werden sich die USA als nächstes vorknüpfen – nach Huawei und TikTok?

Info:

Das Statement von TikTok-CEO Chew kann man hier nachlesen: https://docs.house.gov/meetings/IF/IF00/20230323/115519/HHRG-118-IF00-Wstate-ChewS-20230323.pdf

Das gesamte fünfstündige Hearing kann man hier sehen: https://www.c-span.org/video/?526609-1/tiktok-ceo-testifies-house-commerce-committee&live&utm_source=The+China+Project&utm_campaign=c6b618d916-EMAIL_CAMPAIGN_2023_03_23_09_29&utm_medium=email&utm_term=0_03c0779d50-c6b618d916-%5BLIST_EMAIL_ID%5D

Das Kurzvideo von Chew nach dem Hearing: https://www.tiktok.com/@tiktok/video/7214065189220601131?_r=1&_t=8b1uwtuSc1K

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