POLITIK I Wann ruft Xi in Kiew an – oder was passiert da hinter den Kulissen?

Wolodymyr Selenskyi saß vor ein paar Tagen im Zug von Sumy im Nordosten des Landes zurück in die Hauptstadt Kiew. Auf dem Tischchen vor ihm stand ein Glas Tee und ihm gegenüber saßen die beiden Journalistinnen Julia Pace und Hanna Arhirova von der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Vor allem Pace fragte, Selenskyi antwortete in Englisch. Im Verlauf des Gesprächs kamen sie natürlich auf China und Xi Jinping zu sprechen. Und dabei ließ Selenskyi ein paar interessante Sätze fallen: „We are ready to see him (Xi Jinping) here. I want to speak with him. I had contact with him before full-scale war. But during all this year, more than one year, I didn’t have.” Für ihn sei nach dem kürzlich stattgefundenen Moskauer Treffen zwischen Xi und Putin klar, dass China nicht mehr bereit sei, Russland zu unterstützen.

Es fällt auf, wie relativ positiv Selenskyi über China redet. Jedenfalls wohlwollender als der ihn unterstützende Westen. Das zeigte sich schon bei seiner Reaktion auf das chinesische Friedenspapier (ich nenne es nicht Friedensplan), das er nicht barsch wie zum Beispiel die USA ablehnte. Auf einer Pressekonferenz (zusammen mit Spaniens Premier Pedro Sánchez) just am Tag der Veröffentlichung des chinesischen Zwölf-Punkte-Papiers sagte er: „I think it is a very good fact in general that China started talking about Ukraine and sent some signals. This is in the interest of Ukraine today.“ Gleichzeitig forderte er jedoch: “China historically respects our territorial integrity and it should therefore do everything for Russia to leave the territory of Ukraine.“

Auf der Ebene unterhalb der Präsidenten gab in den vergangenen Wochen bereits einige Kontakte, so zwischen Außenminister Dmytro Kuleba und chinesischen Emissären. Kuleba sprach mit Wang Yi, dem ehemaligen Außenminister und nun starken außenpolitischen Mann in der KP. Kuleba traf ihn sowohl in New York am Rande der UN-Vollversammlung als auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Am 16. März telefonierte Kuleba mit Chinas neuem Außenminister Qin Gang. Qin verbreitete danach in üblicher Bürokratensprache: “China will continue to play a constructive role in promoting ceasefire, ending the crisis and restoring peace.” Kuleba twitterte: „We discussed the significance of the principle of territorial integrity.” Interessant: Kuleba beglückwünschte China zu dem kürzlich mit chinesischer Hilfe ausgehandelten Friedens-Deal zwischen dem Iran und Saudi-Arabien.

Warum diese Milde der ukrainischen Regierung gegenüber China? Der amerikanische China-Experte Cheng Li (Brookings) erklärt in einem Interview mit der taz (18. März.): „Die Beziehungen zwischen China und der Ukraine sind eigentlich gar nicht so schlecht. Viele ukrainische Wissenschaftler leben und arbeiten in China. Chinas Luft- und Raumfahrtindustrie hat von ihnen profitiert, selbst Chinas erster Flugzeugträger wurde in der Ukraine gebaut. China leistet der Ukraine auch humanitäre Hilfe.“

Kann China wirklich vermitteln? Super-Optimisten verweisen auf Chinas diplomatische Meisterleistung als Friedensvermittler zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Ein Deal, der in aller Stille hinter den Kulissen eingefädelt wurde. Ob so etwas Ähnliches auch in dem aktuellen Krieg zwischen. Russland und der Ukraine gelingen kann? Dieser Konflikt ist freilich ein paar Nummern größer, und es sind ein paar mehr Parteien involviert. Positiv ist aber, dass beide unmittelbaren Kriegsparteien – Russland und die Ukraine – für ein Engagement Chinas plädieren. Kurz vor Xis Besuch in Moskau schrieb Wladimir Putin in der chinesischen Parteizeitung “People´s Daily”: „We welcome China´s readiness to make a meaningful contribution to the settlement of the crisis.“ Nach dem Viereinhalb-Stunden-Gespräch mit Xi am 20. März wurde Putin noch etwas konkreter: “Moscow is open to peace talks and welcomes China´s constructive role in this end.”  

Auch im Kreml weiß man: Wenn jemand Druck auf Putin ausüben kann, dann ist es China. Keine Türkei (die anfangs zu vermitteln versuchte), kein Brasilien, kein Indien, und erst recht nicht die De-Facto-Kriegsparteien aus dem Westen, die Waffen liefern. Nein, es ist alleine China. Junior-Partner Russland ist inzwischen – auch durch die westlichen Sanktionen – so von China wirtschaftlich abhängig, dass Beijing einige Hebel hätte, um Moskau an den Verhandlungstisch zu drängen oder gar zu zwingen. Die entscheidende Frage ist: Will China diese Hebel nutzen?

Bislang hat Xi Jinping nicht in Kiew angerufen, obwohl das für die Zeit nach seinem Moskau-Besuch angekündigt war – allerdings nur von amerikanischen Medien, Beijing selbst hat das nie bestätigt. Auf Selenskyis soeben ausgesprochene Einladung reagierte in einer ersten Reaktion das chinesische Außenministerium verhalten. Aber entscheidend ist nicht das Außenministerium, sondern Xi Jinping. Ihn werden in diesen und den nächsten Tagen einige europäische Spitzenpolitiker und -innen treffen – Pedro Sánchez, Emmanuel Macron sowie Ursula von der Leyen. Sie alle werden Xi zu einer aktiven Friedensdiplomatie drängen. Es liegt nun an Xi, diese Rolle anzunehmen und seinen Worten Taten folgen zu lassen. Die Welt würde es ihm danken.

Info:

Das AP-Interview mit Wolodymyr Selenskyi (auch mit Videoaufnahmen aus dem Zug) gibt es hier: https://apnews.com/article/ukraine-zelenskyy-russia-putin-bakhmut-2334ec3a5b74d3cc3c4e012db71920e5

No Comments Yet

Comments are closed