OLD CHINA HAND I Daniel Kirchert, Auto-Experte mit über 20 Jahre China-Erfahrung

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird aber eine Old China Hand vorgestellt: Daniel Kirchert (49).

Seit vergangenem Sommer wohnt Daniel Kirchert mit Frau, Tochter und Sohn im schönen Grünwald, dem noblen Vorort Münchens. Er kam also wieder in die Stadt zurück, wo vor über 20 Jahren seine Karriere startete – bei BMW. Dazwischen war er fast nur in China stationiert. Er arbeitet für deutsche sowie japanische Autobauer, und er war bei zwei Startups chinesischer Elektroautobauer an vorderster Front dabei. Es gibt kaum einen Deutschen, der Chinas Autoindustrie besser kennt als Daniel Kirchert.

Seine China-Affinität startete schon im Elternhaus. Im Kinderzimmer las ihm seine Mutter vor dem Einschlafen „Großer Tiger und Christian“ vor. In der Küche kochte die Mutter schon früh chinesische Gerichte. Der Vater interessierte sich für Buddhismus, ein Onkel praktizierte ihn sogar. Als der kleine Daniel größer war, fielen ihm zwei Bücher in die Hände: „Eine Welt aus Zeichen – Über die Chinesen und ihre Schrift“ von Cecilia Lindqvist sowie „China – eine illustrierte Geschichte“ von Patricia Buckley Ebray. Beide führten ihn noch näher an das Thema China heran. Doch was studierte er dann? Mathematik an der LMU München. Aber parallel besuchte er auch in einige Vorlesungen und Sprachkurse der Sinologie. Nach dem Studium bekam er von der Studienstiftung des deutschen Volkes ein einjähriges Stipendium in Nanjing. Er nutzte die Zeit, um viel im Lande rumzureisen, war unter anderem auch in Tibet. Und er lernte seine jetzige Frau kennen – eine Chinesin, die in Nanjing Deutsch studierte. Nach diesem Jahr in China war ihm klar: „Ich muss mit China weitermachen.“ Er promovierte bei Carsten Herrmann-Pillath, der damals in Witten-Herdecke lehrte, zum Thema regionale Entwicklung in China. Doch er wollte danach nicht die akademische Laufbahn einschlagen, sondern in die Wirtschaft wechseln. Er ging zu BMW, erst in München, dann in China. Kirchert kam just in der Phase zu dem Autobauer, als dieser das Joint-Venture mit Brilliance aufbaute. Er war im Team, das dieses Gemeinschaftsunternehmen in Shenyang aufbaute. Als es dann lief, war er für den Vertrieb zuständig. Zwölf Jahre diente er BMW. Dann 2013 der Wechsel als China-Chef zu Infiniti, der Nobelmarke des japanischen Herstellers Nissan. „Freunde erklärten mich für verrückt“, sagt er. Aber an dem Infiniti-Job reizte ihn zweierlei: „Ich bekam CEO-Verantwortung, und es war eine Aufbau-Aufgabe.“ Er hat die Marke neu positioniert, das Händlernetz erweitert und „richtig auf die Pauke gehauen“ mit vielen Marketing-Aktivitäten. „Es waren drei sehr erlebnisreiche Jahre“, resümiert Kirchert. Es wurden nur drei Jahre, weil sich dann eine Chance bot, die er einfach nicht ablehnen konnte. Ein Team um dem Ex-BMW-Manager Carsten Breitfeld wollte mit viel privatem Geld aus China ein „chinesisches Tesla“ aufbauen. Sein Name: Byton. Es war eine Multikulti-Truppe aus Ehemaligen von BMW, Tesla und Apple mit hohen Ambitionen. Von Anfang war Byton global aufgestellt: Design in München, Technologie im Silicon Valley, Produktion in China. Sie entwickelten ein hoch gelobtes Auto, sie zogen in Nanjing eine Fabrik hoch – und sie scheiterten, weil die Finanzierung immer schwieriger wurde (inzwischen waren mit FAW und der Stadt Nanjing zwei staatliche Akteure beteiligt). „Das war sehr, sehr bitter – so kurz vor der Ziellinie,“ sagt Kirchert. Mitte 2020 verließ er Byton. Er musste sich erstmal von dem Schock und dem Job erholen. Vier Jahre war er um die Welt gejettet, hatte die Familien kaum gesehen. Jetzt genoss er die Zeit in der Wohnung an der schönen Repulse Bay in Hongkong, wo die Familie während seiner Byton-Zeit residierte. Er verordnete sich ein paar Monate Pause. In die Ruhe platzten die Anrufe von Evergrande-Gründer Xu Jiayun. Der Immobilien-Mogul aus Guangzhou hatte – wie einst Byton – die Idee, ein chinesisches Tesla hochzuziehen.  Er hatte bereits die Evergrande Auto gegründet und Milliarden investiert. Was ihm fehlte, war Management-Know-How. Deshalb baggerte er Kirchert an. Der war zunächst zurückhaltend, aber Xu blieb hartnäckig. Anfang 2021 stieg Kirchert bei Evergrande Auto als Executive Vice President ein. Doch dann kam die Immobilien-Krise – und Evergrande war dort mittendrin. Für das ambitiöse Auto-Projekt fehlte das Geld. Bis Anbfang 2022 blieb Kirchert noch bei Evergrande, dann entschied die Familie: Wir gehen zurück nach Deutschland. Das Aus bei Evergrande, die grassierende Corona-Epidemie, aber auch familiäre Motive („Unsere beiden Kinder sind in Beijing geboren und kennen Deutschland kaum“) spielten dabei eine Rolle. Zurück in München sei ganz bewusst erstmal der Fokus auf die Familie gerichtet gewesen. „Ich wollte mich nicht gleich wieder ins nächste Abenteuer stürzen“, sagt Kirchert. Er berät bislang „nur“ seinen alten BMW-Kollegen Jürgen Greil, der in Salzburg Fly Now gegründet hat. Ein Unternehmen, das Flugdrohnen – eine Art Mini-Hubschrauber – entwickelt. Und seit Anfang des Jahres ist Kirchert selbst wieder unternehmerisch aktiv. In der Schweiz gründete er zusammen mit zwei Schweizer Freunden die Noyo Mobility AG. Sie ist eine innovative Vertriebsplattform, auf der vor allem chinesische Hersteller ihre E-Autos in Europa verkaufen können und sollen. Kirchert erwartet, dass zwischen 15 und 20 chinesische Hersteller auf den europäischen Markt wollen, und zwar vor allem in dem Preissegment zwischen 15 000 und 20 000 Euro, das von den hiesigen Herstellern vernachlässigt werde. Er wird sich also weiterhin mit China beschäftigen – beruflich wie privat. Er sagt: „Nantong, die Heimatstadt meiner Frau, ist meine zweite Heimat.“ Vor Corona sei er jedes Jahr mehrmals dort gewesen. Da soll sich auch nach Corona nicht viel ändern.

Info:

Mit Kirchert kamen fast gleichzeitig zwei alte Bekannte – Mirko Wormuth und Hans Au – aus China zurück. Und alle landeten sie in München. Dort kam dem Trio mit langer China-Erfahrung die Idee, ihre Erfahrungen in einer Podcast-Serie zu verarbeiten und weiterzugeben. Die Podcasts-Serie „China Direkt“ kann man hier hören: https://www.youtube.com/@chinadirekt

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