Hans van Ess (60) ist seit 1998 Professor für Sinologie an der LMU München. Der Sinologe und Mongolist beschäftigt sich vor allem mit Konfuzianismus und chinesischer Geschichtsschreibung. Er hat viele Bücher über den Konfuzianismus geschrieben. Nun ist sein Meisterwerk erschienen: „Konfuzius Gespräche“, die von ihm neu übersetzt wurden.
Herr van Ess, es gibt ja bereits viele Übersetzungen der „Konfuzius Gespräche“ – auch in deutscher Sprache. Warum haben Sie mit Ihrem aktuellen Buch eine weitere hinzugefügt?
Die „Gespräche des Konfuzius“ sind zweifellos das wichtigste Buch, das China, aber auch seine Nachbarstaaten China, Japan, Korea und auch Vietnam geprägt hat. Es wurde in Europa zuerst von Jesuiten übersetzt. Deshalb ist die Sprache der Übersetzungen bis heute christlich beeinflusst. Das verstellt den Blick. Man muss dem Leser klarmachen, was die chinesische Wahrnehmung ist. Deshalb habe ich mich beim Schreiben dieses Buches sehr stark auf alte chinesische Kommentare gestützt. Und zweitens habe ich gesehen, dass in dem Buch mehr drinsteckt. Auch ich habe die „Gespräche“ lange Zeit als eine Sammlung von Sprichworten angesehen. Ein bisschen vergleichbar mit Goethes Faust, in dem ja auch viele Sprüche stehen. Aber die „Gespräche“ sind eben nicht nur eine Sammlung von losen Sprüchen. Nein, dieses Buch folgt einem Fahrplan. Und diesen zu erkennen und zu erklären – das ist der Clou meines Buches.
Ist das dann nur ein Buch für den Konfuzius-Apologeten?
Meine große Hoffnung ist, dass es über die Wissenschaft hinaus gelesen wird. Hierzulande wird ja sehr oft Konfuzius zitiert. Ich hatte und habe aber oft meine Zweifel, ob diese Zitate und benutzten Sprüche richtig sind. Ich erinnere mich an einige Reisen mit Politikern nach China, auf denen diese in Reden gerne Konfuzius zitierten. Aber meist stimmten die Zitate nicht mit dem Original überein. Auch weil viele Sprüche sich bei der Übersetzung in ein vermeintlich besseres Deutsch immer weiter vom Original entfernt haben. In meiner Übersetzung bin ich wieder näher am Original. Und es gibt noch einen zweiten Grund, sich mit Konfuzius auseinanderzusetzen: Durch dessen Lektüre versteht man China einfach besser.
Wie aktuell ist denn noch der Konfuzianismus in China? Die Rede ist immer wieder von einer Renaissance.
Es gab eine Renaissance unter Präsident Hu Jintao, der von 2002 bis 2012 an der Macht war. Unter ihm gab es eine richtige Welle. Er prägte das Schlagwort von der Harmonischen Gesellschaft. Das klingt sehr konfuzianisch. 2014 war ich bei den großen Konfuzius-Feierlichkeiten, die alle fünf Jahre stattfinden, sowohl in Beijing als auch in Konfuzius´ Heimatstadt Qufu. In Beijing ist auch Hus Nachfolger Xi Jinping höchstpersönlich aufgetreten. Die neuen chinesischen Konfuzianer dachten damals: Das ist der Durchbruch. Doch jetzt redet Xi mehr über den Marxismus als über den Konfuzianismus. Aber in der Bevölkerung ist Konfuzius nach wie vor sehr präsent.
Info:
Konfuzius Gespräche – neu übersetzt und erläutert von Hans van Ess, 816 Seiten, C. H. Beck, 48 Euro.
Hier gibt es eine Leserprobe: https://files.wbg-wissenverbindet.de/Files/Article/ARTK_ZLK_1032050_0001.pdf
Wer sich erst etwas in den Konfuzianismus einlesen will, dem empfiehlt der Autor sein gerade in dritter Auflage erschienenes Buch „Der Konfuzianismus“ in der Reihe C. H. Beck Wissen, 128 Seiten, 12 Euro.