POLITIK I Das Wunder von China

Am Abend des 16. Februar verkündeten die Nachrichten im Staatsfernsehen CCTV ein Wunder: Die Covid-Pandemie sei besiegt worden. Der Sender berichtete über den Stunden zuvor tagenden Ständigen Ausschuss des Politbüros, der just diesen Sieg vermutlich einstimmig festgestellt hat. Im englischen Wortlaut liest sich die Siegesmeldung wie folgt: „We´ve scored an important and decisive victory in our prevention and control of the pandemic, and created a miracle in human history that a major populous country has successfully overcome a spreading pandemic.” Erklärt wurde nicht, wie es zu dem vermeintlichen Sieg kam, warum man fast drei Jahre eine strikte Zero-Covid-Strategie verfolgte, um diese im Dezember abrupt zu beenden. Irgendwie surreal, wie schnell man in China nach drei Jahren Ausnahmezustand wieder zur Normalität zurückkehrt. Das Virus ist einfach verschwunden – oder wurde es verhaftet? Der ehemalige Chefredakteur von Global Times, Hu Xijin, witzelt in Anspielung auf den beliebten Schluss von US-Präsidenten-Reden auf Weibo: „The virus has gone away…God blesses China.“ Ernster sollte man freilich über die Todeszahlen durch Covid reden. Offiziell werden zwischen dem 8. Dezember (an dem Tag wurde das Ende der Null-Covid-Politik verkündet) und Anfang Februar 82 238 Covid-Tote in Krankenhäusern angegeben. Das Politbüro lobt: „Our fatality rate was the lowest in the world.” Aber können diese Zahlen stimmen? Yanzhong Huang, Senior Fellow Global Health beim Council on Foreign Relations (CFR) in New York, zweifelt diese Zahlen an. In einem Artikel für „Foreign Affairs“ schreibt er: “This is a vast undercount of the actual number.” Er stellt eine andere Rechnung auf und bezieht sich dabei auf Wu Zunyou, den Chefepidemiologen des Chinese Center for Disease Control and Prevention (China CDC). Dieser sagte, dass bis zum 21. Januar über 80 Prozent der Bevölkerung infiziert worden seien, also rund 1,13 Milliarden Chinesen. Zuvor hatte er von einer Sterblichkeitsrate in China zwischen 0,09 und 0,16 Prozent gesprochen. Wendet man die auf die 1,13 Milliarden Fälle an, kommt man auf eine Zahl von mindestens einer Million Toten. Diese Zahl deckt sich mit anderen westlichen Schätzungen. „The Economist“ und „The New York Times“ taxieren die Todeszahlen auf eine bis 1,5 Millionen, das Londoner Gesundheitsportal spricht von 1,3 Millionen. Aber selbst bei diesen Zahlen hätte China immer noch relativ besser abgeschnitten als die USA und auch besser als Deutschland. Das wäre zumindest ein kleiner Sieg.

Info:

Die Erfolgsmeldung von Xinhua: https://english.news.cn/20230217/b47e84010fdf450d9bf3768f467225b4/c.html?utm_source=The+China+Project&utm_campaign=673127267c-EMAIL_CAMPAIGN_2023_02_17_09_47&utm_medium=email&utm_term=0_03c0779d50-673127267c-%5BLIST_EMAIL_ID%5D

Hier der Artikel von Yanzhong Huang in „Foreign Affairs“ vom 16. Februar: https://www.foreignaffairs.com/china/chinas-hidden-covid-catastrophe

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