YOUNG CHINA HAND I Francis Kremer, deutscher Manager in einem chinesischen Unternehmen

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Young China Hand vorgestellt: Francis Kremer (39).

Francis Kremer ist ein seltenes Exemplar. Der Deutsche arbeitet in einem chinesischen Unternehmen als Top-Manager. Die Firma heißt JULI Automation, stellt Montageanlagen für Elektromotoren her und sitzt in Jiaxing. Dort – zwischen Shanghai und Hangzhou gelegen – erreiche ich ihn per Zoom. Wie kommt ein Junge aus Gummersbach nach Jiaxing? Die Antwort ist eine spannende Geschichte mit vielen Auf und Abs, aber auch ein Lehrstück, wie man mit Hartnäckigkeit seine Ziele erreichen kann. Angefangen hat die Story des Francis Kremer in eben diesem Gummersbach. „Es war mir alles zu eng“, sagt er, „ich musste weg, und zwar soweit wie möglich.“ So ging es nach dem Abi erstmal nach Paraguay, wo er in einem Missionsprojekt mitarbeitete. Zurück in Deutschland erfüllte er sich einen Traum, den er schon früh hatte: BWL studieren, um dann in der großen weiten Welt als Manager zu arbeiten. Das Rüstzeug dafür holte er sich in der Provinz, an der Fachhochschule Aschaffenburg. Dort fing er an, neben dem BWL-Studium an der Volkshochschule Chinesisch zu lernen, auch weil er in Aschaffenburg eine Chinesin kennengelernt hatte. 2004 ging er dann als 21jähriger zum ersten Mal nach China. Damals suchten Headhunter junge Studenten aus aller Welt, die in China Englisch unterrichten wollten. Kremer ließ sich ködern und war für ein paar Monate Englischlehrer in der Hebei-Provinz. Ein Jahr später ging er wieder nach China, diesmal zu einem Praxissemester bei Bosch in Beijing. In der Zeit verbesserte er auch sein rudimentäres Chinesisch, paukte morgens zwischen 6 und 8 Uhr in einem Park mit einer Chinesin die Sprache. Und er heiratete noch in China seine chinesische Freundin aus Aschaffenburg. Diese ersten China-Aufenthalte prägten und begeisterten ihn für China. Er sagte sich: „Das ist hier so anders, hier will ich arbeiten“. Denkste! Nach dem Studium fand er keinen Job mit China-Bezug – weder hier noch dort. Deutsche Firmen suchten für China Ingenieure, keine BWLer, die auch noch auf Vertrieb spezialisiert waren. Mehrere Jahre musste Kremer deshalb fremdgehen, arbeitete in der IT-Branche, was er im Nachhinein als eine harte, aber lehrreiche Schule betrachtet. Doch irgendwann reichte es ihm: „Ich setzte alles auf eine Karte und bewarb mich nur noch auf China-Jobs“. Aber wieder kassierte er „brutale Absagen“, ehe ihn 2017 der österreichische Maschinenbauer Stiwa engagierte und nach Shanghai schickte. Freimütig bekennt er heute: „Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie man in China Business macht.“ Aber er lernte es, ebenso wie die chinesische Sprache mit einem Privatlehrer. Doch nach drei Jahren wurde sein Vertrag mit Stiwa nicht verlängert. Wieder Suche. „Ich wollte Geschäftsführer einer deutschen Firma in China werden“. Wieder Absagen. Ihm, der sich selbst als „China Dreamer“ bezeichnet, wurde in den Einstellungsgesprächen stets beschieden: „Ihr Traum ist zu groß“. Eine Headhunterin kam dann mit einem Angebot: „Ich habe da einen chinesischen Unternehmer, einen Millionär, der sucht einen Vertriebschef, gerne auch einen Ausländer.“ Die mittelständische Firma hieß JULI Automation, machte damals um die 100 Millionen Yuan Umsatz. Kremer konnte sich überhaupt nicht vorstellen, bei einem chinesischen Unternehmen zu arbeiten. „Ich bin da ganz locker zum Vorstellungsgespräch hingegangen, war sogar phasenweise aggressiv.“ Das gefiel dem Chef, und er bekam den Job. Vor drei Jahren fing er dort an. Inzwischen macht Juli 400 Milllionen Yuan Umsatz und gewinnt neben den chinesischen Autobauern auch immer mehr internationale Kunden. Aus einem kleinen Vertriebs-Team hat sich ein Sales Center mit sechs Teams entwickelt, um das weltweite Wachstum zu steuern. Kremer achtet darauf, dass jeden Tag englisch gesprochen wird. Daher hat er auch einen deutschen Projektleiter eingestellt. Seit vergangenem Oktober zum zweiten Mal, wieder mit einer Chinesin, verheiratet – fühlt er sich privat wie beruflich wohl in dem 1,1-Millionen-Städtchen Jiaxing, fährt ein fünf Jahre altes gebrauchtes chinesisches Auto und viel Fahrrad. Ausländer gibt es in Jiaxing kaum, was Kremer nicht stört. Im Gegenteil: Er hat sich nie in Expat-Kreisen aufgehalten. Nur für seinen Podcast „China Flexpat“ trifft er sich mit Ausländern, um deren Geschichte zu erzählen. Aber das sind keine klassischen Expats, sondern eher Typen, die keine geradlinigen Karrierewege gegangen sind, sondern eher auf Zickzack-Kurs unterwegs waren. Also Typen wie er – der Junge aus Gummersbach, der in Jiaxing landete und sich vorstellen kann, dort zu bleiben: „Ich möchte in China begraben werden.“ 

Info:

Mittlerweise gibt es 116 Flexpat-Episoden. Sie kann man hier (nach-)hören: https://anchor.fm/patrick-frick

Francis Kremer hat kürzlich auch ein Buch herausgegeben: „Chinese On Your Terms – Mastering the Art of Learning Chinese through Coaching“. Es ist kein Lehrbuch im klassischen Sinne, sondern – so Kremer – “ein Buch über die großen Blockaden beim Chinesisch-Lernen, und wie man sie lösen kann.“ Die 214 Seiten starke Kindle-Ausgabe kostet 9,99 Euro. Die Print-Ausgabe sendet Ihnen Francis Kremer innerhalb von China, wenn Sie ihn auf Linkedin oder Wechat (Flexpat2020) kontaktieren.

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