So viel Außenpolitik war in Berlin noch nie. Diesen Befund kann man auch an der Quantität der außenpolitischen Papiere erkennen. Gerade hat die SPD geliefert. Deren Kommission Internationale Politik (KIP) unter Leitung des SPD-Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil hat das Papier „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ in die Diskussion geworfen. Die 23 Seiten wurden am 23. Januar dem SPD-Präsidium vorgelegt, anschließend stellte es Klingbeil der Presse vor. Das Papier wurde vor dem Ukraine-Krieg, nämlich im Dezember 2021, vom Parteitag in Auftrag gegeben. Trotzdem ist es sehr stark vom russischen Angriff auf die Ukraine geprägt.
Zunächst wird im ersten Kapitel („Eine Welt im Umbruch“) das große Weltbild gezeichnet. „Die Zeiten uni- oder bipolarer Ordnung sind vorbei“, heißt es dort. Neben den USA, China und Europa würden neue Machtzentren entstehen. Und damit sind Staaten des globalen Südens gemeint. Also schließen die sozialdemokratischen Strategen: „Wir stehen am Beginn eines multilateralen Zeitalters“. Deswegen treten sie auch ein für „mehr Multilateralismus, mehr Kooperationen, mehr gemeinsame Institutionen und Abkommen“. Im zweiten Kapitel werden die „Grundlagen sozialdemokratischer Außenpolitik“ skizziert und postuliert: Deutschland solle eine Führungsrolle übernehmen, dabei allerdings einen kooperativen Führungsstil praktizieren.
Das dritte Kapitel befasst sich mit „Europa als attraktives Zentrum“. Es ist die Rede von einem „souveränen Europa“, das eine Vorreiterrolle einnehmen solle. Europa solle „Anker für eine wertegeleitete Interessenpolitik“ sein (eine interessante Wortschöpfung, bei der Werte und Interessen kombiniert werden – im Gegensatz zur rein werteorientierten Außenpolitik). Was die Wirtschaft anbetrifft, schätzen die Autoren richtig ein, dass Europa „bei entscheidenden Schlüsseltechnologien ins Hintertreffen geraten ist und seine Abhängigkeiten von wenigen Zulieferern zu spät erkannt hat“. Deshalb bedürfe es einer „aktiven Industrie- und Innovationspolitik“. In diesem Zusammenhang wird auch gefordert, dass autoritäre Staaten keine Kontrolle über unsere kritische Infrastruktur erlangen dürften. Dazu bedürfe es aber einer europaweit gültigen Definition von kritischer Infrastruktur. Im vierten Kapitel („Partnerschaften strategisch ausbauen“) bekommt China ein eigenes Unterkapitel mit der Überschrift „Das Verhältnis zu China neu bewerten“. Dieses China trete nach außen „immer selbstbewusster und zuweilen aggressiver“ auf. Das werde begleitet von repressiven Entwicklungen im Innern. China sei inzwischen ein veritabler geopolitischer Akteur, ohne dessen Mitwirkung globale Herausforderungen wie der Klimawandel, die Bekämpfung von Pandemien und Nahrungsmittelkrisen sowie der Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitung von Atomwaffen nicht zu lösen seien. Zugleich seien die chinesischen und europäischen Wirtschaften eng miteinander verflochten. Deshalb sei ein Decoupling nicht die richtige Antwort. Stattdessen plädieren die Autoren für eine europäische Resilienzstrategie, die Risiken verringert (De-Risking). China wird als Systemrivale angesehen, der an einem Umbau des internationalen Systems zu seinen Gunsten arbeite. Dem müsse man einer gemeinsamen europäischen Chinapolitik entgegenwirken. Man will aber mit China im Gespräch bleiben. Doch der Dialog mit China sollte „robust und konstruktiv-kritisch“ geführt werden.
Das Papier ist eine Diskussionsgrundlage. In den kommenden Monaten wird es in den Gremien der Partei besprochen und modifiziert werden, ehe es auf dem Parteitag im Dezember dieses Jahres verabschiedet werden soll.
Info:
Hier kann man das Papier der Kommission Internationale Politik der SPD herunterladen:
https://www.spd.de/fileadmin/internationalepolitik/20232001_KIP.pdf