HU IS HU? Li Qiang, Chinas neuer Regierungschef

Die Bürger von Wenzhou sind in China berühmt-berüchtigt – nicht, weil sie besonders bösartig oder hinterlistig wären, sondern weil sie besonders erfolgreich und vermögend sind. Wenzhou gilt als die Kapitalisten-Metropole der Volksrepublik. In den Nuller Jahren fuhren sie in Bussen – die Koffer voller Bargeld – durchs Land und kauften Immobilien auf. In keiner chinesischen Stadt gibt es mehr private Unternehmer als hier, rund 360 Kilometer südlich von Shanghai. Ziemlich abgeschieden liegt diese Zehn-Millionen-Stadt, vorne das Meer, hinten die Berge. In diesem Mikrokosmos reifte eine kapitalistische Enklave heran, die einzigartig in China ist.

In dieser Stadt des privaten Unternehmertums wuchs Li Qiang auf. 1983 trat er in die KP ein. Und heute ist er wohl der nächste Regierungschef Chinas. Es war für viele Beobachter eine Überraschung, als er am Schlusstag des 20. Parteitags hinter Xi Jinping als zweiter Mann einmarschierte. Damit ist klar: Er wird der neue Regierungschef als Nachfolger von Li Keqiang. Formal muss er noch vom Nationalen Volkskongress im Frühjahr bestätigt werden. Überraschend ist die Wahl Lis aus zwei Gründen. Erstens war er nicht wie viele seiner Vorgänger Vizepremier, ehe er selbst Premier wurde. Und zweitens fehlt in seiner Karriere eine Amtszeit in irgendeiner der ärmeren Provinzen, was bislang für die Top-Spitzenkräfte Usus war. Li diente nur in den reichen prosperierenden Provinzen des Ostens – in Zhejiang, Jiangsu und Shanghai (wo er für den Lockdown in diesem Jahr verantwortlich war). In Zhejiang kam er erstmals in Kontakt mit Xi Jinping, der von 2004 bis 2007 Parteichef dieser Provinz war. Während dieser Zeit diente ihm Li als Stabschef, und die beiden lernten sich gegenseitig schätzen.

Die westlichen Medien hatten deshalb schnell ihre Urteile parat, als Li zum zweiten Mann avancierte. Financial Times nannte ihn „Xi´s right-hand man“ und Reuters bezeichnete ihn als “a Xi loyalist“. Wer ihn allerdings nur als den treuen Gefolgsmann Xis sieht, täuscht sich. Und wer wie Marcel Grzanna in n-tv urteilt, Li fehle tiefgreifendes Wirtschaftswissen, der liegt noch mehr daneben. Die Journalisten seien offenbar „too lazy to inquire further“, schreiben Uwe Parpart und David Wood in einem Li-Porträt in Asia Times. Sie kommen zu einem ganz anderen Urteil: „Li Qiang will lead a veteran team of administrators and economists with ample international experience committed to reform, further opening up the economy and technological innovation.” Er hatte während seiner Zeit sowohl in Zhejiang als auch in Shanghai meist ein offenes Ohr für die Privatwirtschaft. In Shanghai begleitete er wohlwollend den Bau der Tesla-Fabrik. Und auch in seiner ersten öffentlichen Rede nach dem Parteitag legte er ein Bekenntnis zur Privatwirtschaft ab. Bei der Eröffnung des Kongresses der All-China Federation of Industries and Commerce sagte er am 11. Dezember: “China’s private sector has expanded remarkably in terms of size and strength, and has played an irreplaceable role in boosting economic development, creating jobs, improving people’s livelihoods, promoting innovation, deepening reforms and advancing opening-up.”

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