Soviel Aufmerksamkeit genoss der Staatenbund Asean noch nie. Am vergangenen Wochenende flogen Regierungschefs aus aller Welt in die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh ein, um am Rande des Asean Summit ihre Aufwartung zu machen. Joe Biden düste – aus Ägypten kommend – in der Air Force One herbei, aus Europa reiste EU-Ratspräsident Charles Michel an, aus Australien Regierungschef Anthony Albanese, aus Tokio und Seoul kamen Premier Fumio Kishida und Präsident Yoon Suk Yeol, aus Beijing Ministerpräsident Li Keqiang und Russland schickte Außenminister Sergei Lawrow. Warum dieser Auflauf? Was macht Asean plötzlich so attraktiv? Asean ist das Kürzel für Association of Southeast Asian Nations. Ihr gehören zehn Länder an, darunter Indonesien, Malaysia, Singapur, Thailand und Vietnam. Wenn – wie eben beschlossen – Ost-Timor bald dazu kommt, werden es elf sein. Der Staatenbund mit seinen fast 700 Millionen Einwohnern ist eine wirtschaftliche und politische Macht. Asean ist deshalb ein wichtiger Faktor im sich anbahnenden Großmacht-Konflikt zwischen China und den USA, der vor allem im westlichen Pazifik ausgetragen wird. Beide versuchen, die Asean-Staaten auf ihre Seite zu ziehen. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte: „The EU and Asean, we need each other.“ Das meinte er eher wirtschaftlich, denn die EU-Staaten – allen voran Deutschland – suchen nach Alternativen für das nicht mehr so gelobte China. Anders die USA, die aus strategischen Gründen um die Asean-Staaten buhlen. Während Donald Trump sich nie für diesen Teil Asiens interessiert hat, ist das bei Biden anders: „Asean steht im Mittelpunkt der Indopazifik-Strategie meiner Regierung“, sagte er bei einer kurzen Rede im Sokkha Hotel in Phnom Penh. Er sprach von einer „neuen Ära der Kooperation“. Diese wurde anschließend mit der „US-Asean Comprehensive Strategic Partnership“ besiegelt. Für die USA sind die Asean-Staaten ein wichtiger Mosaikstein in ihrer – so sehen es die Chinesen – Umzingelung Chinas, die von Japan über eben Südostasien bis nach Indien reicht. Aber lassen sich die Asean-Staaten so einfach wie Schachfiguren oder Marionetten gegen China positionieren? Zweifel sind erlaubt. Dazu ist der Zehnerverbund viel zu heterogen. Kambodscha, Laos und Myanmar sind eher Freunde Chinas. Sie und auch die anderen sieben Staaten sind wirtschaftlich von China abhängig. Für alle ist China größter Handelspartner. Und auch politisch-strategisch sind sie sich nicht einig. Im Russland-Ukraine-Konflikt ist nur Singapur dem Westen gefolgt und hat eigene Sanktionen gegen Russland verhängt. Laos, Thailand und Vietnam enthielten sich der Stimme, als in den Vereinten Nationen Russlands Angriffskrieg verurteilt wurde. Dazu passt, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beim Summit in Phnom Penh nicht per Video auftreten durfte. Die Asean-Staaten versuchen einen Kurs des Durchlavierens zu fahren. Sie wollen sich weder von der einen (China) noch der anderen Seite (USA) vereinnahmen lassen. Und sie wollen sich auch nicht für eine Seite entscheiden müssen. Sie wollen den angenehmen Zustand des Umworbenwerdens noch möglichst lange genießen.
Info:
Biden-Statement in Phnom Penh: https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2022/11/12/remarks-by-president-biden-at-the-annual-u-s-asean-summit-2/
EU-Ratspräsident Charles Michel im Vorfeld des Asean-Gipfels: https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2022/11/10/video-message-by-president-charles-michel-for-the-asean-business-and-investment-summit/
Und hier die Rede Li Keqiangs in Phnom Penh: http://eu.china-mission.gov.cn/eng/mhs/202211/t20221114_10974022.htm?utm_source=substack&utm_medium=email