Jedes Jahr im Herbst findet die Generalversammlung der Vereinten Nationen statt. Dann reisen Regierungschefs und Außenminister aus aller Welt an den East River in New York und halten Reden. Das war dieses Jahr bei der 77. Generalversammlung nicht anders. Natürlich war der russische Überfall auf die Ukraine das beherrschende Thema. Aber der Elefant, der im UN-Glaspalast stets mit am Tisch saß, war China. Fast alle westlichen Regierungschefs gingen in ihren Reden auf China ein, allerdings mit unterschiedlichen Akzentuierungen.
Vor allem US-Präsident Joe Biden und Großbritanniens neue Premierministerin Liz Truss verwiesen auf den Systemwettbewerb zwischen Demokratien und Autokratien. Biden sieht einen „contest between democracy and autocracy“. Die USA seien entschlossen „to defend and strengthen democracy at home and around the world”. Liz Truss sieht die Geopolitik am Beginn einer neuen Ära: „Authoritarian states are undermining stability and security around the world“. Sie preist Demokratie und Freiheit. Im Gegensatz dazu würden “autocracies sow the seeds of their own demise by suppressing their citizens”. Ohne China beim Namen zu nennen, kritisiert sie das Land: „A country where artificial intelligence acts as judge and jury, where there are no human rights and no fundamental freedom, is not the kind of place anyone truly wants to live.” Allerdings müssen sie – so Truss – in dem Systemwettbewerb auch liefern: “Unless democratic societies deliver on the economy and security our citizens expect, we will fall behind.” Die Rede von Truss war kämpferischer als die von Biden, der auch versöhnliche Töne anschlug: „We do not seek conflict. We do not seek a Cold war. We do not ask any nation to choose between the United States or any other nation.”
Olaf Scholz und Emmanuel Macron setzten in ihren Reden unterschiedliche Schwerpunkte. Scholz ging als einziger expressis verbis auf die Lage in Xinjiang ein: „Die frühere Hochkommissarin für Menschenrechte hat uns vor einigen Wochen über die Lage in Xinjiang berichtet. China sollte die Empfehlungen der Hochkommissarin umsetzen. Das wäre ein Zeichen von Souveränität und Stärke und ein Garant für die Veränderung zum Besseren.“ Mehr hatte Scholz zu China nicht zu sagen.
Macron dagegen sieht die Gefahr einer erneuten Spaltung der Welt wie in Zeiten des Kalten Krieges und warnt: „We must do everything we can ensure that this new division does not happen because our challenges are growing in number and urgeny and require new cooperation.“ Diese Zusammenarbeit mahnt Macron besonders beim Klimaschutz an und nimmt vor dem Cop27-Gipfel in Ägypten auch China in die Pflicht: „China and the major emerging countries must make a clear decision at COP. That is essential.“
Während die westlichen Regierungschefs von zunehmenden Spannungen reden, setzt China auf Kooperation. So sagte Außenminister Wang Yi in seiner Rede: “The world continues to move toward multi-polarity; economic globalization is deepening, and our societies are becoming increasingly digitized and culturally diversified. Indeed, countries are becoming ever more interconnected and interdependent. Peace and development remain the underlying trend of our times. Around the world, the people’s call for progress and cooperation is getting louder than ever before.” Weiter mahnte er: “Difference in system should not be used as an excuse to create division”. Einen Seitenhieb auf die USA konnte er sich aber nicht verkneifen: „No country is above others, and no country should abuse its power to bully other sovereign countries.“
Info:
Wang-Rede: https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/wjdt_665385/zyjh_665391/202209/t20220925_10771160.html