Derzeit führt Ralf Brandstätter (53) sehr viele Gespräche. Sein wichtigstes Thema dabei: China. Dort wird der Manager am 1. August seinen Job als neuer China-Chef für Volkswagen antreten. „Bis dahin tausche ich mich mit vielen Expertinnen und Experten aus“, schreibt er auf Linkedin. Er, der bis dato noch nicht beruflich in China stationiert war, will sich ausführlich über sein nächstes Gastland informieren. Vor kurzem sprach er mit der neuen deutschen Botschafterin Patricia Flor, die wenige Tage vor ihm in Beijing eintreffen wird. Politische Flankierung kann hilfreich sein, denn der Volkswagen-Konzern ist in China gleich doppelt unter Druck: politisch und wirtschaftlich. In der deutschen Politik (und den Medien) wächst die Kritik am starken Engagement (manche nennen es auch Abhängigkeit) des Autobauers in China. VW – seit Mitte der 80er Jahre in China – macht dort inzwischen rund 40 Prozent seines Umsatzes, beim Gewinn soll der Anteil noch höher sein. Wirtschaftlich hat Volkswagen einige Probleme auf dem größten Automarkt der Welt. Diese sind zum Teil marktbedingt (weil die chinesische Konkurrenz immer besser wird), aber auch Corona-bedingt (wegen Produktionsausfällen durch Werksschließungen in Shanghai und Changchun), doch eben auch zum Teil hausgemacht (weil die digitalen Angebote im Auto nicht den Wünschen der chinesischen Kunden entsprachen). Um Letzteres künftig zu vermeiden, wurden zwei wichtige Entscheidungen getroffen. Es wurde bei der VW China Group die Stelle eines Chief Technology Officer (CTO) geschaffen und mit dem erfahrenen China-Experten Marcus Hafkemeyer, der zuletzt bei Huawei war, besetzt. Außerdem wurde ein neues Gremium etabliert – ein China Board. Ihm steht Brandstätter vor. Mitglieder sind die regionalen CEOs der anderen Konzernmarken wie Audi oder der Software-Tochter Cariad sowie weitere Manager der VW China Group. Die genaue Zahl der Gremiumsmitglieder steht noch nicht fest. Was aber klar ist, ist die Zielsetzung dieses China Boards: Es soll die Entscheidungen beschleunigen. Bislang führten die Entscheidungswege allzu häufig über das 9650 Kilometer entfernte Wolfsburg. Jetzt soll in Beijing entschieden werden. Das Motto bei Volkswagen heißt „In China, for China“. In der Produktion ist der Konzern diesem Motto schon sehr nahegekommen. Rund 90 Prozent der in China verkauften Autos (und das waren 2021 rund 3,5 Millionen Stück) werden in den über 40 Werken in China produziert. In anderen Bereichen ist Volkswagen noch nicht ausreichend „sinisiert“. Das gilt vor allem für die Digitalisierung. Deshalb soll die Software-Tochter Cariad in China kräftig ausgebaut werden. Chang Qing, CEO von Cariad China, will bis Ende 2023 die Zahl der Mitarbeiter auf 600 verdoppeln. Er sagt: „China is a world leader in digital innovation.“ Von diesem Know-how soll VW künftig stärker profitieren. „Wir müssen beim Thema Digitalisierung in China nachlegen“, kündigte Brandstätter in einem Interview mit der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung Ende Juni an. Es gibt also viel zu tun für den neuen VW-Chef in China. Brandstätter wird denn auch voller Tatendrang Ende Juli nach Beijing übersiedeln. Gut vorbereitet ist er ja nach den vielen Gesprächen.
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